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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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hatte keine Ahnung, wer die Bergidylle und den Almfrieden gemalt hatte – scheußlich fand er sie alle beide.
    Auf dem Couchtisch entdeckte Pius eine geschliffene Schale, die mit einer Pralinenmischung gefüllt war. Zu gerne hätte er eine genascht, seine Nerven beruhigt. Doch seine gute Erziehung siegte und so stand er auf, leckte sich über die Lippen, schüttelte den Gedanken an die Pralinen ab und trat ans Fenster. Draußen herrschte stockfinstere Nacht. Pius sah sein eigenes Spiegelbild im Fenster: die etwas zu groß geratene Nase, das kräftige Kinn und die geschwungenen Augenbrauen. Wie oft hatte er diese Brauen als junger Mann verflucht – damals war er zwar noch kein Gottesmann gewesen und das Fluchen ihm somit leidlich gestattet. Doch die Form seiner Brauen gab seinem Gesicht den ständigen Ausdruck aufmerksamen Zuhörens – und mehr als einmal fühlten sich allein deswegen seine Mitmenschen eingeladen, ihm ihr Herz auszuschütten. Von wem er die Brauen geerbt hatte, wusste keiner in der Familie. Pius tippte auf einen längst vergessenen Onkel, von dem kein Bild mehr existierte.
    Dieser Gedanke erinnerte den Pater an den Grund seines Besuches. Er wartete nun bestimmt schon eine Viertelstunde. Lange genug, wie er fand. Pius ging zur Schiebetür, die – das wusste er von vorangegangenen Besuchen – das Wohnzimmer vom Büro des Bankiers trennte. Eben wollte er die schweren Flügel auseinanderschieben, als er dahinter eine Stimme hörte.
    »Ha no, guck …«, sagte Engel.
    Pius grinste. Dem Wirtschaftsboss war offensichtlich der Wein vom Nachmittag zu Kopf gestiegen und hatte sich mit dem Restalkohol der letzten Nacht aufs Trefflichste vermischt. Engel hatte hörbar Mühe, seine Zunge ordnungsgemäß zu gebrauchen.
    »Dashappichnichgesag«, tönte es von jenseits der Tür.
    Pius hielt inne. Er wusste, dass er gehen sollte. Aber … er konnte es nicht. Irgendetwas hielt ihn auf seinem Posten. Entschuldigend strich er über das Holzkreuz, sandte ein kurzes Gebet gen Himmel und streckte das Ohr weiter ans Holz.
    »Wenn das Wasser erst mal im Becken ist, dann interessiert das kein Schwein mehr, welche Schweinerei da drunterliegt.« Engel lachte und verschluckte sich dabei. Er hustete, kiekste und sprach dann weiter. »Hör mal, du wolltest deinen Müll loswerden und ich hab gesagt, dass ich das regle. Verdammt noch eins, der Beton ist schon drauf, das ist jetzt etwas zu spät für ein schlechtes Gewissen!«
    Pius schauderte. Müll? Freibad? In welches Schlamassel war er jetzt wieder geraten?
    »Spinnschjetztoderwas?« Engels Stimme überschlug sich beinahe, als er in den Telefonhörer schrie. »Dein Geld kriegsch du nicht wieder, ich hab meinen Teil erledigt und basta!«
    Geld? Oh je. Pius krallte sich am Kreuz fest und trat auf leisen Sohlen den Rückzug an. Evelyne Engels Seelenheil hin oder her – der Pater brauchte jetzt erst einmal ein Gebet. Und ein Stück Schokolade: Nun griff er doch in die Schale aus böhmischem Glas.
     
    Radio Donauwelle mit Nachteule Regina am Regler! Ihr Lieben da draußen, es ist kalt, nass und ungemütlich. Lasst uns kuscheln. Wie Hörerin Jutta Lunestedt aus Gosheim, die sich an einen ganz bestimmten Tag im Sommer erinnert, als sie mit ihrem Schatz Walter über das Klippeneck spaziert ist.
    Ja, Leute, so ein Segelflug wär jetzt fein. Aber nicht bei dem Nieselregen, der hier ans Studiofenster regnet. Lassen wir uns gemeinsam von Sir Elton John mit seinem Titel ›High Flying Bird‹ entführen. Startet gut in die Nacht, ihr Lieben!
     
    Als Pius wieder im Golf saß und ein paar Straßen weit gefahren war, wurde ihm flau im Magen. Sein Hirn rotierte: Schwimmbad, Beton und Müll, eine Zahlung an Jens-Uwe Engel … mit wem hatte Engel telefoniert? Hatte das alles etwas mit dem Tod des Bürgermeisters zu tun? Reimte Pius sich etwas mehr zusammen, als hinter dem betrunkenen Gefasel des Bankers steckte? Oder reichte seine Fantasie nicht aus, um die Tragweite des eben Gehörten zu erfassen?
    So unklar die Lage war, so sicher wusste Pius, was er zu tun hatte. Automatisch lenkte er das Auto durch die menschenleeren Straßen Spaichingens. An der Hauptstraße bog er ab Richtung Trossingen. Kurz nach der Brücke, über die die ICE-Strecke nach Stuttgart führte, stellte er das Auto am Straßenrand ab. Der Umriss eines haushohen Holzkreuzes neben einer Ruhebank stach gegen den dunkelgrauen Nachthimmel. Der Pater konnte den Heiland da oben nicht erkennen, aber er spürte, dass sein

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