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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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Vesper übernahm, leierte mit so wenig Betonungen eine Passage aus dem Krimi von Monika Detering herunter, dass der Bielefelder Kommissar eher wie ein Schlafmittel auf die Patres wirkte. Pius wusste, dass sie nach und nach am Abend in die Bibliothek schleichen und jeder für sich noch einmal nachlesen würden, was Pater Wolfgang beim Vorlesen versaubeutelt hatte. Sie alle waren froh, als ihm nach drei Absätzen die Lust verging und er das eigentlich hochspannende Buch zuklappte.
    »Sag, wie war die Beerdigung?« Nach zwei Scheiben Schwarzbrot und drei Essiggürkchen fasste Bruder Johannes sich ein Herz und sprach Pius an. »Arg schlimm?«
    Pius piekte eine Silberzwiebel auf seine Gabel.
    »Nun, schon«, sagte er.
    »Nicht gerade gesprächig, unser Pater Pius, was?«, frotzelte Bruder Ortwin, der auf dem Heimweg vom Nachmittagsunterricht im Gymnasium die zahlreichen Limousinen und Fahrzeuge der Presse entlang des Friedhofs hatte parken sehen.
    »Ich bin halt müde«, entgegnete Pius. Pater Josef schob ihm eine frisch geöffnete Flasche ›Hirschbräu‹ aus Wurmlingen über den Tisch zu. Dankbar füllte Pius sein Glas bis zur Hälfte, trank zwei große Schlucke, stieß leise auf und begann dann doch zu erzählen. Wie er so zu seinen Brüdern sprach, kehrten die Lebensgeister zu ihm zurück und er bemerkte wieder einmal, wie viel Kraft und Ruhe ihm die Gemeinschaft gab, in die Gott ihn geführt hatte. Pius fühlte sich geborgen – das war seine Familie.
    »Und dann habe ich Frau Engel einfach so stehen lassen, obwohl ich spürte, dass sie das Gespräch suchte«, schloss er seine Erzählung. Einen Moment lang herrschte Schweigen, ehe Bruder Sunil sich zu Wort meldete.
    »Dann geh doch gleich nach dem Abendbrot zu ihr«, schlug der Philippine vor. »Vielleicht wird es ihr helfen, noch vor dem Schlafengehen ihr Herz zu erleichtern.« Pius musste unwillkürlich lächeln ob der gestelzten Ausdrucksweise des Paters, der seine Deutschkenntnisse aus einem Kurs des Goetheinstitutes in Manila hatte.
    »Mach das«, pflichtete Bruder Johannes ihm bei. Pius, der sich eigentlich am liebsten in seiner Zelle verkrochen und mit dem hölzernen Heiland an der Wand Zwiesprache gehalten hätte, machte sich also auf Anraten seiner Mitbrüder hin noch einmal auf den Weg ins Städtle. Der alte Volkswagen schien den Weg die Serpentinen hinunter von allein zu finden. Pius drehte das Radio lauter, als er aus dem Wald hinausfuhr und die Lichter der Stadt aus dem Nebel auftauchten. Den Rolling Stones konnte er nicht widerstehen und das sinnfreie Geplapper von ›Abend-Svenja‹ wirkte auf ihn wie ein Beruhigungsmittel.
    Pünktlich zu den 20-Uhr-Nachrichten parkte er vor Bankier Engels Haus, einem imposanten Bau aus den 1980er-Jahren in der Gosheimer Straße, beste Halbhöhenlage. Neues zur Finanzkrise und Koalitionsplanungen in Berlin hörte er sich noch an, dann drehte er dem Sprecher im Donauwelle-Studio den Saft ab. Dass das Wetter auch morgen kühl und grau sein würde, wusste er selbst. Pius seufzte, stieg aus und klingelte wenig später an Engels Tür.
    Ein Baum von einem Kerl öffnete keine drei Sekunden später die Pforte: Schultern so breit wie ein Bauernschrank, Hände groß wie Abortdeckel und ein Nacken, der jedem Stier Ehre machen würde. Das Muskelpaket steckte in einem zerknitterten schwarzen Anzug und hatte offensichtlich nicht die beste Laune. Unwillkürlich trat Pius einen Schritt zurück.
    »Ja?« Mit dem Charme war das bei den Bodyguards offensichtlich so eine Sache – dieser hier jedenfalls war eher von der knurrigen Sorte.
    »Ich würde gerne Frau Engel sprechen«, brachte Pius sein Anliegen vor. Automatisch griff er zum hölzernen Kreuz, das er stets um den Hals trug. Der Fleischklops verzog keine Miene in seinem bulligen Gesicht, trat aber zur Seite, um den Pater einzulassen.
    »Frau Engel ist nicht da«, bekam Pius als Auskunft. »Aber Sie können ja mal warten, der Herr Vorstandsvorsitzende kommt gleich.« Der Klops wies Pius den Weg ins Wohnzimmer und verzog sich dann.
    Der Pater seufzte und setzte sich in den Ohrensessel, der vor einer massiven Bücherwand drapiert war. Einige Minuten lang studierte er die Buchtitel. Von Thomas Mann über Heine und Goethe waren alle Klassiker vertreten, die meisten in einer gebundenen Clubausgabe. Dann ließ er den Blick schweifen über das Beistelltischchen mit den Familienfotos. Engel beim Angeln, Engel beim Wandern, Engel auf dem Fahrrad, und die Ölschinken an der Wand. Pius

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