Klotz, Der Tod Und Das Absurde
verblüfft, was in dem Kopf des Anwärters so alles steckte.
Er bemühte sich um einen lässig wirkenden, phlegmatischen Applaus, der sein
Erstaunen überspielen sollte.
»Bravo, Herr Zebisch. Und das im zweiten Semester. Da konnte ich
einen Tatort noch nicht mal von einer Klorolle unterscheiden. Sie werden es
noch weit bringen«
»Danke, Herr Hauptkommissar.«
»Haben Sie vielleicht eine Zigarette, Anwärter?«
»Bedaure, aber ich rauche nicht.«
»Gut. Ist vielleicht auch besser so. Dann haben Sie vielleicht ein
Taschentuch?«
»Ja, hier. Bitte.«
»Danke. Also. Da das Ihr erstes Praktikum ist, kann ich davon
ausgehen, dass Sie bisher noch keine Zeugenvernehmung vorgenommen haben?«
»So ist es.«
»Dann würde ich mal vorschlagen …«
»Aber Herr Hauptkommissar. Zeugenvernehmungen sind erst ab dem dritten
Studienjahr erlaubt. Und dann auch nur in Anwesenheit eines zweiten, bereits
etablierten Beamten«, warf Haevernick ungefragt ein.
»Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an. Es gibt Vorschriften, und
es gibt die Realität. Merken Sie sich das. Das ist ein Schlüsselsatz für das
richtige Selbstverständnis bei unserer Arbeit. Überhaupt biete ich Anwärter
Zebisch hier eine einmalige Chance. Manchmal ist ein Sprung ins kalte Wasser
besser als jede Theorie.«
Haevernick schwieg.
»Also, Zebisch«, wandte sich Klotz wieder dem Anwärter zu, »seien
Sie nicht zu zimperlich mit dem Kunden. Der hat’s faustdick hinter den Ohren.
Vertrauen Sie Ihrer Intuition und denken Sie nicht an irgendwelchen
Lehrbuchquatsch!«
Zebisch klärte den Verdächtigen zunächst über die Tat auf, die ihm
zur Last gelegt wurde. Dann forderte er den mutmaßlichen Mörder auf, zu den
vorgebrachten Fakten Stellung zu nehmen. Das alles geschah in einem trockenen,
eher offiziellen Ton.
Herr Müller tat das, was alle von ihm erwarteten. Er schwieg beharrlich
weiter. Zebisch ließ die Zeit verstreichen. Zwei Minuten, fünf Minuten, acht,
zehn.
»Was glaubst du, was er bezweckt? Was soll das, Astrid? Du kennst
ihn besser als ich. Was meinst du?«, fragte Klotz die Oberkommissarin.
»Unsicherheit? Angst?«
»Nein. Glaub ich nicht. Dafür macht der Herr Anwärter einen zu
entspannten Eindruck auf mich. Überhaupt. Du hast ihn doch vorhin auch gehört.
Der ist nicht auf den Kopf gefallen.«
Zebisch war aufgestanden und stand jetzt direkt vor der Scheibe.
Haevernick konnte ihm in die leuchtenden Augen sehen, die ein beinahe magisches
Gefühl von Ruhe ausstrahlten. Dann machte er etwas, was ihr und dem
Hauptkommissar lange im Gedächtnis bleiben sollte.
Mit dem Rücken zur Wand stellte er sich in eine der Ecken, die dem
Verdächtigen gegenüberlagen. Dann ließ er sich langsam auf den Boden nieder und
sackte zusammen. Es war jetzt fast eine Viertelstunde vergangen, seitdem das
letzte Wort in diesem Verhörraum gesagt worden war. Klotz hatte irgendwie ein
komisches Gefühl.
»Was ist da los? Meinst du, ich sollte ihn besser zurückpfeifen?«,
fragte Klotz, der etwas verunsichert war.
»Nein. Warte mal ab. Ich glaub, der probiert irgend so ein neues
Ding aus, das sie da unten auf der Schule gelernt haben.«
»Ich hatte ihn doch gewarnt. Keine Lehrbuchscheiße!«
Plötzlich brach Zebisch das Schweigen.
»Sie haben recht. Es gibt überhaupt keinen Mord. Es gibt keinen
Thorsten Gummler. Wir wollten Sie nur testen. Wir wollten sehen, ob Sie lange
genug durchhalten. Sie können gehen. Sie sind ein freier Mann. Sie haben den
Test bestanden.«
Robert Müllers geneigter Oberkörper richtete sich auf. Sein Hals
reckte sich, und sein verschwitztes Gesicht suchte sein Gegenüber. Dann riss er
die Hände nach oben. Schlug mit einer Hand das Wasserglas vom Tisch. Stand auf.
Zebisch rührte sich nicht von der Stelle. Scheinbar unbeeindruckt kauerte er
weiter in seiner Ecke.
Müller brach das Schweigen. Brüllte plötzlich wie ein Wahnsinniger:
»Nein! Nein! Nein! Das ist nicht wahr! Die Untoten haben ihn geholt.
Die Untoten. Hört ihr? Versteht ihr? Du bist tot! Ihr seid tot! Wir sind alle
tot! Tot! Tot!«
Während der letzten Worte hatte sich der Verdächtige der Spiegelwand
zugewandt. Sein irrer Blick ließ Klotz und Haevernick auf ihren Stühlen ein
wenig nach hinten rutschen. Jetzt spuckte er gegen die Scheibe. Dann nahm er
Anlauf und warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen den Spiegel. Im
Hinterzimmer vibrierte es. Klotz drückte den Notfallknopf.
21. Dezember
Klotz holte die Kaffeekanne aus der Plastiktüte hervor und
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