Klotz, Der Tod Und Das Absurde
zum Spaß hierhergekommen.
Irgendeinen Grund werden Sie doch haben. Meine Kollegin teilte mir mit, dass
Sie mich sprechen wollten. Jetzt schweigen Sie. So kommen wir doch nicht
weiter.«
Die Frau rückte ihre graue Strickweste zurecht und fuhr sich mit
ihren knochigen Händen über das rote Kopftuch.
»Ich bin hier, weil ich gestern Abend eine Vermisstenanzeige
aufgegeben habe. Heute Morgen bekam ich die Nachricht, dass mein Robert in
Nürnberg von der Kriminalpolizei festgehalten wird.«
»Ganz richtig, Frau Müller. Ihr Sohn steht unter Mordverdacht.«
Klotz schilderte der Frau die Situation. Dann reichte er ihr ein
Taschentuch. Sie war den Tränen nahe.
»Er muss Sie gesehen haben, Herr Kommissar.«
»Wie meinen Sie das?«
»Am Sonntag, da muss er Sie gesehen haben, als Sie in Göring waren.«
»Mag sein. Das erklärt aber noch nicht, warum er mich an den
darauffolgenden Tagen hier in Nürnberg verfolgt hat und sich gestern unter
Gewaltanwendung einer Festnahme widersetzt hat. Darüber hinaus zeigt sich Ihr
Sohn alles andere als kooperativ.«
»Am Montag und Dienstag war ich mit ihm hier in Nürnberg. Er hatte
an beiden Tagen Arzttermine hier in der Stadt, und ich habe danach in Sankt
Jakob vorbeigeschaut, um den Pfarrer zu sprechen. Robert ist derweil spazieren
gegangen.«
»Sie wollen also behaupten, dass Ihr Sohn mich am Sonntag im Rahmen
einer Tatortbegehung in Göring gesehen hat. Am Montag, als Sie in der Kirche
sind und er draußen wartet, erkennt er mich zufällig wieder. Am Dienstag
wiederholt sich das gleiche Spiel auf ähnliche Weise.«
»Ja. Genau so ist es.«
»Wissen Sie, was ich da nicht ganz verstehen kann?«
Klotz machte eine Kunstpause und fixierte die feuchten Augen der
Frau.
»Erstens: Warum verfolgt mich Ihr Sohn gezielt? Das alles hat
nämlich mit Zufall rein gar nichts zu tun. Zweitens: Warum sucht er den Tatort
auf? Drittens: Warum haut er ab, als mein Kollege und ich ihn zur Rede stellen
wollen?«
»Eigentlich wollte ich es nicht sagen«, antwortete Frau Müller.
Sie zog zwei Medikamentenpackungen aus ihrer abgenutzten Handtasche.
»Robert leidet unter einer besonderen Art von Schizophrenie, die mit
paranoiden und phobischen Zuständen einhergeht.«
»Das heißt?«
»Das heißt, dass er in seinem eigenen Universum lebt. Wahrscheinlich
spielen Sie in dieser Welt irgendeine besondere Rolle. Vielleicht hält er Sie
für einen Spion, vielleicht für seinen Vater, vielleicht für Gott oder das
Rumpelstilzchen.«
Die letzte Assoziation kam Klotz doch ziemlich abwegig vor. Außerdem
ließ sie ihn ärgerlich werden.
»Und? Nur weil einer verrückt ist – pardon, psychisch krank, wollte
ich sagen –, ist das noch lange kein Grund, dass er als Mörder ausscheidet!
Ganz im Gegenteil!«
Er fuhr sich über sein unrasiertes Gesicht. Nachdem er sich wieder
an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, warf er einen kurzen Blick auf den
Computerbildschirm. Dort sprang schon wieder dieses Polizeiwappen wie ein vom
Hafer gestochenes Pferd herum. Klotz ruckelte energisch an der Maus.
»Wissen Sie denn, wo Ihr Sohn zum Tatzeitpunkt gewesen ist?«
»Wann war das?«
»Der Mord geschah in der Nacht von Samstag auf Sonntag, Mitternacht,
null Uhr.«
»Da hat Robert geschlafen. Bei dem, was er da nehmen muss, kann
Robert gar nicht wach bleiben, selbst wenn er wollte! Seit Jahren schon geht er
regelmäßig jeden Abend um neun Uhr ins Bett und schläft durch bis morgens um
halb sieben.«
Die Zangenberg stand in der Tür und teilte mit, dass Staatsanwältin
Gulden gegenüber im Besprechungszimmer auf Klotz warte. Er solle sofort kommen,
da sie um halb zehn einen Gerichtstermin habe.
Als Klotz aufstand, legte Frau Müller ihre zerbrechliche Hand auf
seinen Arm. Sie bat ihn, ihrem Sohn doch bitte seine Medikamente zu geben,
solange er noch hierbleiben müsse.
»Die Entzugserscheinungen bei plötzlichem Absetzen sind schrecklich.
Er war es nicht, Herr Kommissar. Bitte glauben Sie mir«, flehte sie ihn an.
»Leonie, Sie bleiben bitte hier und passen auf Frau Müller auf.
Verständigen Sie einen der Leute unten. Einer soll hochkommen und die Tabletten
für Robert Müller abholen.«
Während er in den Konferenzraum ging, überlegte Klotz, ob Robert
Müllers übermäßiges Schwitzen gestern während des Verhörs vielleicht auch eine
andere Interpretation zuließ als ein hoffnungslos schlechtes Mördergewissen.
Was war nur los heute? War da irgendeine Feierlichkeit anberaumt,
von der er nichts
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