Klotz, Der Tod Und Das Absurde
schob
sie zwischen die Aufhängung für die Filtertüte und die Wärmeplatte. Passt
genau, dachte er, und ein Lächeln huschte über seine Lippen.
Wieder war er zu früh aufgewacht, und weil er trotz aller Bemühungen
nicht wieder hatte einschlafen können, hatte er in den »Ratschlägen des
Herzens« geblättert. Und dort hatte gestanden, dass man den Rest der Welt doch
problemlos unterstützen könne, sobald man selbst genug zum Leben hatte. Also
hatte er, bevor er losgegangen war, die Kanne seiner eigenen Maschine kurzerhand
eingepackt und mit ins Büro gebracht.
Während er eine Filtertüte aus dem Karton zog, kämpfte er mit einer
kurz bevorstehenden Niesattacke. Er hatte gerade aus den beiden naturbraunen
Papierhälften der Filtertüte einen Trichter geformt, als er den Nieser nicht
mehr halten konnte. Das Glas der Kaffeekanne vibrierte, und als Klotz wieder
aus seinen Augen sehen konnte, entschloss er sich, den eben bereitgestellten
Aromapor-Kaffeefilter lieber dem Mülleimer zu überantworten.
Nachdem er sich ordentlich geschnäuzt und die Kaffeemaschine
klargemacht hatte, ließ er den Computer hochfahren. Er überlegte, ob er nicht
die Kerze, die ihm die Zangenberg auf den Tisch gestellt hatte, anzünden
sollte. Wohl gesünder als so eine blöde Kippe, dachte er sich und hielt das Feuerzeug
an den Docht.
Er sah nach draußen. Alles war still und dunkel. Der Jakobsplatz war
leer, windig und feucht. Irgendwie hatte es etwas Heimeliges an sich, so früh
vor Dienstbeginn ins Büro zu kommen.
Er stellte die Tasse mit dem schwarzen Kaffee rechts neben die
Tastatur und freute sich darüber, dass er nichts verschüttet hatte. Sollte er
sich zu dem Kaffee jetzt eine Zigarette gönnen oder lieber an seine
angeschlagene Gesundheit denken?
Er rüttelte kurz an der Computermaus. Irgendwie nervte dieser Bildschirmschoner
mit dem hastig umherhüpfenden Polizeiwappen. Dann zog er den Tabaksbeutel
hervor und begann sich eine zu drehen.
Noch einmal nahm er den leicht zerknüllten Zettel zur Hand und las
Frau Schulzes ordentliche Handschrift. Aber es half nichts. Sowohl
Polizeiobermeister Torben Barnikol als auch Polizeihauptmeister Friedrich
Kaumann wollten der polizeiinternen interaktiven Personendatei aller
Angestellten und Beamten partout unbekannt bleiben. Und Klotz hatte wirklich
alles versucht. Hatte alle möglichen Schreibweisen eingegeben, hatte die
Suchmaschine nach verstorbenen, pensionierten, in Ehren ausgeschiedenen und
unehrenhaft Entlassenen recherchieren lassen, und das deutschlandweit. Doch der
Computer hatte immer wieder die gleiche Antwort gegeben. Kein Eintrag.
Leonie Zangenberg trug ein dunkles Top, eine Röhrenhose aus Cord und
kniehohe, rindslederne Stiefel, auf denen jeweils zwei grobe Stahlschnallen
prangten. Doch es waren weder die Stiefel noch die figurbetonende Hose, die
Klotz irritierten. Ein solches Rot hatte er noch nie auf den Lippen der
Sekretärin gesehen, und er musste zugeben, dass es ins Schwarze traf. Sie
lächelte ihn mit ihren Extreme-Rouge- Lippen
an und begann, ihren Mund zu bewegen.
Anwärter Zebisch hatte sich krankgemeldet. Die gestrige Vorstellung
war ihm wohl doch zu sehr an die Nieren gegangen. Auch Escherlich hatte
angerufen und gar nicht gut geklungen. Die Narkose hatte spürbar nachgelassen,
und jetzt hatte er mit Fieber und Schmerzen zu kämpfen. Wenn er es schaffte,
würde er noch kommen, vielleicht ab zehn, vielleicht auch erst am frühen
Nachmittag. Er müsse sich den Kerl, der ihm das angetan habe, auf jeden Fall
noch mal zur Brust nehmen.
Außerdem wartete draußen eine Frau Gerda Müller, die ihn dringend
sprechen wollte. »Gut. Soll reinkommen.«
»Kaffee?«
Klotz deutete in Richtung Kaffeemaschine, und die Frau mit dem
traurigen Gesicht schüttelte den Kopf. Ihre weiten hellgrauen Augen sahen zu
ihm hoch. Sie waren an den äußeren Enden etwas nach unten gezogen. Das gab dem
faltigen Gesicht seine Prägung, und Klotz musste sich für einen Moment auf
seine Professionalität besinnen, um nicht in Mitleid zu verfallen.
»Sie sind also Frau Müller, die Mutter unseres Verdächtigen, Robert
Müller.«
Die Person, die auf einem der beiden Besucherstühle vor ihm saß, gab
keine Antwort. Klotz nahm einen Schluck von seinem lauwarmen Kaffee und sah
hinüber zu dem Rocky-Poster. His whole life was a million-to-one shot .
Ein Häufchen Elend, dachte er und strengte sich weiter an, kühl,
überlegen und gefühllos zu wirken.
»Frau Müller! Sie sind doch nicht
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