Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klotz Und Der Unbegabte Moerder

Klotz Und Der Unbegabte Moerder

Titel: Klotz Und Der Unbegabte Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
Vom Netzwerk:
Reclambändchen.
    »Gut. Wenn das nicht funktioniert, probieren wir es mit einer anderen Frage. Welche Rolle spielen Einfachheit und Schlichtheit für Werther?«
    Er sah in zwei geweitete Augen. Abrupt hatte sie mit dem Gekaue aufgehört.
    »Ich will mal nicht so sein und etwas nachhelfen. Ich zitiere: ›Ein Bauernbursch kam aus einem benachbarten Hause und beschäftigte sich, an dem Pfluge, den ich neulich gezeichnet hatte, etwas zurechtzumachen.‹«
    Anja Löterich stierte ihren Lehrer perplex an. Dann spielte plötzlich ein Lächeln um ihre Lippen. Das sollte wohl kokett wirken, dachte Klotz. Vor seinem inneren Auge sah er Fräulein Löterich hilflos in einer Ziegenherde stehen. Im Hintergrund der Vater neben einem Pflug, eine Mistgabel in der Hand.
    Er wartete etwa eine halbe Minute, dann klappte er die Lektüre zu.
    »Anja. Hast du den Text überhaupt gelesen?«
    Eine dicke Träne rollte über die Wange der bäuerlichen Maid.
    »Hast du oder hast du nicht?«
    Noch eine Träne, ein verhaltener Schluchzer. Klotz wurde wütend.
    »Das war Hausaufgabe! Meinst du, ich gebe das zum Spaß auf?«
    Geräuschvoll knallte das gelbe Reclamheft aufs Pult.
    »Diese letzten Schultage sind keine Entschuldigung dafür, die Hände in den Schoß zu legen! Wir sind hier auf dem Gymnasium und nicht auf einem Ponyhof!«
    Auch wenn ihm die Situation irgendwie unangenehm war, steigerte sich Klotz in die ihm unversehens übertragene Rolle des Maßreglers hinein. Normalerweise war er es ja immer, der von seinen Vorgesetzten sein Fett abbekam. Jetzt war das mal andersherum. Jetzt konnte er mal vom Leder ziehen. Komm Werner, lass es raus!
    »Wo kommen wir denn da hin, wenn jeder macht, was er will?«, brüllte er ungehalten. »Da kann ich dich ja gleich an die Hauptschule überweisen!«
    Das Mädchen brach vollends in Tränen aus. Klotz kannte das aus unzähligen Vernehmungen, die er mit weiblichen Tatverdächtigen geführt hatte. Jetzt nur nicht weich werden! Jetzt unbedingt nachlegen, dann hast du sie so weit. Dann gesteht sie!
    »Wenn du so weitermachst, dann ist dir dein Platz in der nächsten Ausgabe der Schülerzeitung sicher! Heulsuse des Monats !«
    Anja Löterich drehte sich jäh um, riss die Tür des Klassenraums auf und lief davon. Irritiert sah Klotz ihr nach. Dann schloss er die Tür und wandte sich der Klasse zu. Totenstille. Hie und da ein offen stehender Mund. Konnte es sein, dass er etwas übertrieben hatte?
    Für einen Moment war er hilflos. Um den Anschein zu erwecken, die Dinge voll unter Kontrolle zu haben, griff er sich die Lektüre vom Pult. Öffnete sie. Starrte hinein. Vielleicht sollte er jemand anderen über den Inhalt des zu lesenden Textes befragen, überlegte er kurz, ließ dann aber das angedachte Unternehmen sein. Er wollte keine weiteren Kollateralschäden riskieren. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Klasse hatte er jetzt ja. Am besten wäre es, den leichten Schock seiner Schüler zu nutzen, um etwas Konstruktives zu Wege zu bringen.
    »Nun, Freunde«, sprach er mit dem Unterton einer leichten Resignation, »holt doch mal eure Schulhefte raus … Ich diktiere. Überschrift. Fragen zum Brief vom 30. Mai 1771. Eine Zeile frei lassen. Erstens. Warum ist für Werther die Schlichtheit in der Kunst ein Ideal? Nächste Zeile. Zweitens. Inwiefern sieht Werther …«
    Es klopfte.
    »Herein!«
    Willibald Schittkowski erschien in der Tür. Sein dürftiges Haar war verrauft und stand nach allen Seiten ab. Irgendwie machte er insgesamt einen recht abgekämpften Eindruck. Die Kapitulation war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
    »Werner.«
    Klotz fiel auf, dass der Kollege ihn zum ersten Mal mit Vornamen ansprach, und er ahnte, dass dies kein gutes Zeichen war.
    »Werner, du sollst sofort ins Direktorat kommen.«
    Die Klasse war von einem gefährlichen Gemurmel ergriffen worden. Schittkowski war inzwischen an Klotz herangetreten und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Aus müden Augen sah er seinen Leidensgenossen an.
    »Ich mach hier so lange die Vertretung für dich. Alles Gute, mein Freund.«
    Mein Freund? Hatte er sich da gerade verhört? Wie schnell man hier Freunde fand, wunderte sich Klotz. Nahm sein Reclamheftchen. Griff seine Tasche. Verließ das Klassenzimmer, ohne sich zu verabschieden.
    Am Ende eines Ganges sah er Frederik vor der geschlossenen Tür eines Klassenzimmers stehen.
    »Papa!«
    »Pscht. Nicht so laut!«
    Vater und Sohn blickten sich an. Klotz konnte die Wehmut, die er empfand, nur

Weitere Kostenlose Bücher