Klotz Und Der Unbegabte Moerder
innehaben, die direkt vom Goodwill der Schulleitung abhängen. Und wen sollte es schon stören, wenn sich diese d’Abottiglia-Müller auf der Klassenfahrt abends im Hotelzimmer die Drogen reinpfeift, die sie vorher bei den Schülern konfisziert hat? Nein! Das ist doch alles unerheblich! Das sind doch Peanuts , sind das! Ich werde jetzt hier auch nicht anfangen, über Verstorbene etwas Schlechtes zu sagen. Aber lustig ist es schon, dass ich letztes Jahr die Kollegin Cordes ganze acht Wochen lang wegen Krankheit vertreten durfte, sie aber vorgezogen wurde, als es darum ging, die frei gewordene Stelle des Mittelstufenbetreuers zu vergeben. Die Funktionsstelle hat sie dann ja auch dankend angenommen. Auf einen Dank ihrerseits für meine Vertretungsstunden warte ich heute noch.«
Klotz begriff, dass dieser Mann sich durch und durch gedemütigt fühlte. Es wäre ihm allerdings lieber gewesen, wenn Schittkowski endlich kapiert hätte, dass Selbstmitleid in seiner Situation zu nichts führte.
»Wissen Sie, Herr Bieringer«, Schittkowski lächelte plötzlich verschlagen und senkte die Stimme, »wissen Sie, dass Löterich seinen Doktortitel gekauft hat? Haben Sie das mitbekommen mit diesem Skandal an der Uni Bayreuth vor fünf Jahren? Ja, ja. Das war genau die Zeit, als Herr Doktor Löterich seine Promotion bei diesem umstrittenen Professor, wie heißt er doch gleich? …«
Schittkowski hielt inne. In seinem Rücken hatte sich die Tür des Direktorats geöffnet.
»Herr Bieringer«, Schittkowskis Mund verzog sich zu einem müden Lächeln, »es hat mich sehr gefreut. Eine Sache möchte ich Ihnen noch sagen: Wenn man begriffen hat, dass das Gesetz falsch ist, dann ist es das größte Verbrechen überhaupt, sich nach diesem Gesetz zu richten. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
»Herr Schittkowski! Kommen Sie nun endlich«, tönte es aus dem Direktorat, »oder wollen Sie mich warten lassen wie Ihre Schüler?«
Dieser Schittkowski sollte seinen Dienst quittieren, dachte Klotz, und trotzdem hatte er irgendwie Mitleid mit dem armen Tropf, dem das alles so an die Nieren ging. Für den Job des Lehrers war aber nun halt mal ein dickes Fell unabdingbar. Das war ja bei der Polizei nicht anders.
Es läutete. Klotz machte sich zum Klassenzimmer der 11a auf.
Als er die Schwelle von Raum 205 überschritt, wusste er, wie er die Stunde beginnen würde. Sinnigerweise nannte man so etwas Schwellenpädagogik, fiel ihm wieder ein, als er die Tür schloss und sich zum Pult begab.
»Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Schüler!«
»Guten Morgen, Herr Bier!«, schallte es im Chor zurück.
Klotz drehte sich zur Tafel und schrieb groß seinen Alias-Namen an. Dann wandte er sich wieder der Klasse zu, machte eine Kunstpause und setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf.
» Bieringer ist mein Name.«
Klotz ließ einen strengen, aber beherrschten Blick über seine Schüler schweifen. Und jubilierte dabei innerlich. Alle waren ruhig geblieben, keiner hatte gelacht oder eine dämliche Bemerkung gemacht. Selbst dieser neunmalkluge Junge mit den roten Haaren und den dicken Brillengläsern verzog keine Miene.
»Nun«, Klotz zog aus der Innentasche seines Jacketts einen Sparkassen-Lehrerkalender, »wen fragen wir denn heute ab?«
Diesen Moment musste man auskosten. So eine Stille wie jetzt würde während der ganzen restlichen Stunde nicht mehr eintreten.
»Wie wäre es mit der Anja? Anja Löterich, kommst du bitte nach vorne?«
Durch die hinteren Ränge ging ein Raunen, stellenweise wurden Laute der Erleichterung hörbar. Anja erhob sich und kam nach vorn.
»So, Anja. Ihr solltet ja bis zum Brief vom 19. Junius lesen.«
»Kann sein.«
Zwischen den Zähnen der jungen Frau wurde ein rosa Kaugummi sichtbar, das sie bis jetzt nur in der Dunkelheit ihrer Mundhöhle wiedergekäut hatte. Klotz schlug seine Lektüre auf und sah hinein.
»Was sagt Werther im Brief vom 30. Mai über die Kunst?«
Anja Löterich wollte es nicht einfallen, das Kaugummikauen einzustellen. Im Gegenteil. Jetzt gab sie zu allem Überfluss noch nervöse Schmatzgeräusche von sich. Klotz fragte sich, ob er sie nicht auffordern sollte, das Kaugummi in den Mülleimer zu werfen. Aber das Fräulein war ja immerhin die Tochter des Direktors, da durfte man nicht allzu streng sein.
»Kunst? Stand da was von Kunst in dem Text?«, meckerte das Mädchen aus seinem unförmigen Mund.
Klotz versuchte, sich seine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. Wieder blickte er in sein
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