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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Margaret meistens in der Dean Street. Noch vor Tagesanbruch wacht sie auf, zieht sich im Zwielicht rasch an und küsst Willie zum Abschied. Eines Morgens bittet er sie zu bleiben. Sie hat keine Wahl, sagt sie, sie muss arbeiten. Er sagt, nein, warte, er hat etwas für sie. Während sie auf seinem Clubsessel sitzt, steigt er aus dem Bett und fummelt in seinem Anzug, der ordentlich von der oberen Schublade der Kommode hängt. Er zieht eine mit Gummiband gehaltenes Geldscheinbündel heraus. Die Beute von seinem letzten Bankraub mit Mad Dog. Er reicht Margaret das Geld.
    Was ist das?
    Geschenk.
    Warum Geschenk?
    Warum nicht?
    Geschenk für wen? Für dich oder mich?
    Was soll das denn jetzt heißen?
    Du mir schenken? Oder du mich kaufen?
    Um Himmels willen, ich will nur, dass du dich schonst, dir eine andere Arbeit suchst.
    Für mich gibt es nicht andere Arbeit. Das weißt du, Julius.
    Es gibt immer einen Ausweg, Margaret.
    Warum tust du das?
    Ich möchte, dass du öfter hier bist. Mehr Zeit mit mir verbringst. Ist das so schlimm?
    Warum?
    Sag mal, was ist das für ein verrücktes Kreuzverhör?
    Leute helfen anderen Leuten nicht einfach so ohne Grund.
    Gut. Du willst einen Grund hören? Ich mag dich.
    Sie hält die Geldrolle hoch. Was macht das aus uns?
    Ich glaube nicht, dass es für uns ein Wort gibt, Margaret.
    Sie überlegt, hält das Geld in beiden Händen.
    Ich möchte nur, dass du glücklich bist, Margaret.
    Das sehr nett. Danke, Julius.
    Auf Willies Bitte stattet Mad Dog Margarets Chef einen Besuch ab und überbringt ihre Kündigung, mit sofortiger Wirkung. Wenn Willie jetzt unterwegs ist und den nächsten Bankraub mit Mad Dog plant, stellt Margaret frische Blumen in sein Zimmer, kauft Bücher für ihn und durchkämmt die Zeitungen nach Jazzkonzerten und Filmen, die ihnen gefallen könnten.
    An manchen Abenden, wenn Willie zu müde ist und ein neuer Raub bevorsteht, machen er und Margaret sich eine Suppe heiß und hören Radio. Sie mag es, wenn er ihr vorliest. Er macht sie mit Tennyson bekannt.
Komm zu mir in den Garten, Maud
. Er ersetzt Maud durch Margaret. Er macht sie mit Pound vertraut.
Nun kommst du aus einem Menschengewühl
. Sie liebt diese Zeile, sagt sie immer wieder auf, obwohl sie nicht weiß, was sie bedeutet.
    Dichtung muss nichts bedeuten, sagt er.
    Dann ist Dichtung wie Humphrey Bogie.
    Also – nein. Manchmal ist eine Gedichtzeile eben einfach nur schön, mehr nicht. Und die Schönheit ist die Bedeutung. Oder sie ist alles an Bedeutung, was du brauchst.
    Ich mag Dinge, die Bedeutung haben.
    Ich glaube, die Menschen nehmen Bedeutung zu wichtig. Bedeutung ist ein Hirngespinst, Schwindelei. Ich mag Dinge, die schön sind. Deswegen mag ich dich.
    Sie lächelt und presst ihre Wange an seine.
    Am schönsten findet es Margaret, wenn sie ausgestreckt auf Willies Bett liegt und einen Arm über ihre Augen legt, während er in seinem Stuhl sitzt und laut aus der Zeitung vorliest. Sie sehen die Welt aus demselben Blickwinkel, haben ähnliche Vorstellungen von gut und böse. Wenn er etwas über Joseph McCarthy vorliest, faucht sie, wenn er etwas von Gandhi liest, lächelt sie.
    Bevor sie unter die Decke schlüpfen und das Licht ausmachen, liest sie ihre Horoskope. Ihre Mutter war von Astrologie fasziniert. Wann bist du geboren, Julius?
    30 . Juni.
    Oje. Krebs.
    Ist das schlimm?
    Genau wie ich. Wir sind das einzige Sternzeichen, das vom Mond regiert wird.
    Und was heißt das?
    Wir sind launisch, empfindlich, gefühlsbetont.
    Das ist Schwachsinn.
    Es stimmt. Du weißt nichts über dich.
    Wie kommst du denn darauf?
    Keiner tut das.
    Keiner weiß etwas über mich oder keiner weiß etwas über sich?
    Keiner weiß von keinem etwas.
    Zu Willies fünfzigstem Geburtstag kauft Margaret ihm einen neuen Filzhut. Zu Margarets siebenundzwanzigstem Geburtstag kauft Willie ihr ein Armband mit Anhängern, einen Seidenschal und einen schwarzweißen Schutenhut. Obwohl er am billigsten war – dreizehn Dollar bei Saks –, mag sie den Hut am liebsten.
    Eigentlich hätte ich dir einen Nerzmantel kaufen sollen, sagt er.
    Das gefällt mir besser. Dafür wurde keinem weh getan.
    Er denkt an das Geld, mit dem er den Hut gekauft hat, und an die Bank, die er ausgeraubt hat, um es zu bekommen. Einer der Kassierer schlotterte die ganze Zeit vor Angst, als er und Mad Dog den Safe ausräumten. Er verdrängt den Gedanken, als Margaret den Hut wie ein Juwelendiadem aufsetzt. Ohne etwas anderes am Leib gleitet sie damit durch Willies

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