Knapp am Herz vorbei
Petrus nacheifern – der kein schlechtes Gewissen hatte, sondern Gott gegenüber wahre Reue empfand.
Willie hat kein schlechtes Gewissen, und an manchen Tagen spürt er nur Reue, und das tröstet ihn. Laut Sheen ist sein Konto bei Gott ausgeglichen.
Dann allerdings schreibt Sheen etwas, das Willie beunruhigt und ihn länger verfolgt als die Erinnerung an Quacks Klingen. Ein Sünder, so Sheen, muss nicht nur bereuen, sondern sich auch schuldig bekennen. Willie legt das Buch beiseite und zündet sich eine Chesterfield an. Reue
und
ein volles Schuldgeständnis? Ein ziemlich gepfefferter Preis für die ewige Rettung. Er schaut an die Decke. Seine Rolle als Flüchtiger hat ihn für die Augen, denen nichts entgeht, überaus sensibilisiert. Für den Einen, vor dem wir uns nie verstecken können. Er fragt die Decke seines kleinen möblierten Zimmers, ob Sheen wohl recht hat. Beichten? Wirklich? Und wenn er es nicht tut, was dann?
Er spürt eine Antwort kommen. Ein Urteil. Er ahnt, dass es weh tut. Zerstreut bläst er den Rauch durch seine zugenähten Nasenöffnungen und verursacht damit eine kleine Atombombe von irrem Schmerz.
Eine Woche nach der Operation soll Willie die Fäden von Quack ziehen lassen. Er erträgt es nicht, diesen Ghul wiederzusehen. Mad Dog bringt ihm eine Flasche Jameson und eine Nadelzange. Willie schluckt den Whiskey, beißt auf einen Lappen und reißt die Fäden selber aus. Mad Dog hält den Spiegel.
Hinterher entschuldigt sich Willie bei Mad Dog für sein lautes Geschrei.
Mad Dog lacht. Ich bitte dich. Ich bin es gewöhnt, dass Männer schreien.
Sutton betrachtet noch einmal sein früheres Fenster. Wenn man klein ist, sagt er, und sich sein späteres Leben vorstellt, käme man nie auf die Idee, dass man vielleicht unter einem Decknamen lebt, in einem möblierten Zimmer, das Gesicht mit Verbänden bedeckt, die Schulkindern Angst machen.
Schreiber holt seine Aktentasche aus dem Polara. Er stellt sie auf die Haube, lässt den Verschluss aufschnappen. In den Unterlagen, sagt er, steht nichts über plastische Chirurgie. Aber wo Sie es jetzt erwähnen, auf diesen alten Fotos, da ist tatsächlich ein Unterschied. Da sehen Sie wirklich anders aus.
Vielleicht haben wir den falschen Mann, sagt Knipser.
Sutton berührt seine Nase, drückt sie, schaut die Straße hoch. Dieser Quack war verrückt, aber er hat gute Arbeit geleistet. Als ich eines Tages auf dem Rückweg zu meinem Zimmer war, traf ich genau hier ein Mädchen. Genau an der Stelle, wo ihr steht, machte sie mir schöne Augen. Für mich war das ein Zeichen, dass meine Nase ein Erfolg war. Aber natürlich war sie eine Nutte. Die erkennen einen einsamen Mann aus hundert Metern Entfernung. Sie wusste auf den ersten Blick, wer ich war und was ich brauchte. Wie sich allerdings herausstellte, brauchte sie mich auch.
Sie hat sehr bleiche Haut, rabenschwarzes Haar, große schwarze Augen. Ein Auge ist etwas größer als das andere. Willie sagt ihr, dass sie niedlich ist. Sie legt den Finger unter das größere Auge.
Das da, sagt sie, war immer genauso groß wie sein Bruder. Aber in letzter Zeit wird es immer größer, ich weiß nicht, warum.
Er sagt ihr, sie soll zum Arzt gehen. Sie sagt, sie mag keine Ärzte. Er besteht darauf, aber sie ist stur. Halb Irin, halb Ägypterin, sagt sie.
Das erklärt alles, sagt er.
Sie wurde in Kairo geboren und ist dort aufgewachsen. Ihre Mutter war aus Dublin, ihr Vater war Jude, ein Mizrahim. Während des Kriegs hatten sie ein hartes Leben. Doch der Frieden war noch härter. Der Frieden löste ein örtlich begrenzteres Chaos aus. Mit Knüppeln und Fackeln bewehrte Horden drangen in ihr Viertel ein. Sie sprengten Gebäude in die Luft, setzten Häuser in Brand, zerrten die Leute aus ihren Betten. Sie schleppten Männer durch die Straßen und verprügelten sie vor ihren Familien.
Warum?, fragt Willie.
Israel, sagt sie. Land. Religion. Warum Menschen eben solche Dinge tun.
Als sie ihren Vater zum letzten Mal sah, stand er an ihrer Haustür, fuchtelte mit einem Tranchiermesser herum und hielt den Mob in Schach. Er rief ihrer Mutter zu: Lauft, lauft, ich finde euch!
Sie und ihre Mutter rannten durch die Hintertür zu einem Nachbarn. Am Morgen lag ihr Vater auf der Straße. Teile von ihm, sagt sie. Sie und ihre Mutter flohen mit dem Nachbarn zu Fuß über Land, dann mit dem Schiff nach Amerika. Auf dem Schiff mussten sie Männer abwehren und sogar Jungen. Eines Nachts auch den Nachbarn.
Ihre Mutter starb
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