Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
Vom Netzwerk:
Zimmer. Er sagt ihr, dass sie umwerfend schön ist.
    Ich weiß.
    Er lacht und nennt sie seine irische Kleopatra. Verstehst du?, fragt er.
Klee O’Patra
.
    Sie versteht es nicht, und er kann es nicht erklären.
    Spät am vierten Juli, sehr spät, ist es zu heiß, um im Zimmer in der Dean Street zu sitzen. Es ist zu heiß, um irgendwo zu sitzen. Willie nimmt Margaret zu einer Fahrt auf der Fähre mit. Sie stehen an Deck, genießen die Brise, riechen das Wasser und lauschen den letzten Feuerwerkskrachern an Land. Margaret ist glücklich. Willie ist zufrieden. Bis er die Freiheitsstatue sieht. Die sieben Strahlen ihrer Krone, welche die sieben Kontinente darstellen, sehen genauso aus wie die sieben Zellenblocks des Eastern State und der Burg – bisher war ihm das nie aufgefallen. Wie kommt es, dass er beim Anblick dieser Statue jedes Mal etwas entdeckt, das ihm bis dahin entgangen war?
    Margaret legt einen Arm um seine Schultern. Du hast unglückliche Gedanken, Julius.
    Stimmt.
    Ich sehe in deinem Gesicht. Der Mond regiert dich wieder.
    Ja. Vielleicht.
    Ich habe dir verboten, unglückliche Gedanken zu haben.
    Er dreht sich zu ihr und legt eine Handfläche unter ihr Kinn.
    Ich mag es, wenn du mich so berührst, Julius.
    Sie nimmt ihren Seidenschal ab und wickelt ihn um seinen Hals. Julius?
    Ja, Margaret.
    Ich glaube, du würdest
sie
gern berühren.
    Wen?
    Sie zeigt auf die Statue. Sie. Mir gefällt nicht, wie du sie anguckst.
    Du hast mich ertappt. Auf frischer Tat. Sie bedeutet mir sehr viel. Ich hab schon seit vielen Jahren mit ihr was am Laufen.
    Margaret gibt einen glucksenden Laut von sich. Diese Statue macht die Leute verrückt. Ich versteh das nicht. Sie verspricht allen, dass sie frei sind. Ist eine Lüge.
    Vielleicht. Aber es ist eine schöne Lüge.
    Sie ist eine
Lügner
. Wenn ich arm sein muss, wenn ich mein Geld im Liegen verdienen muss, gut, aber das ist nicht frei. Komm mir nicht mit diesem Wort – frei. Wo ich herkomme, haben wir ein anderes Wort für Frauen, die einen so an der Nase rumführen.
    In jeder Sprache gibt es dieses Wort, Margaret.
    Sie ist ein
Miststück
.
    Willie zieht Margaret an sich. Das mag ja sein, flüstert er, aber vielleicht ist es besser, wenn du das nicht ausgerechnet am vierten Juli durch die Gegend schreist.
    Sie sieht sich um. Die Touristen an der Reling starren sie an. Ich wusste nicht, dass ich schreie, sagt sie.
    Als der Sommer dem Ende zugeht, wünscht Willie, er könnte mit Margaret zum Ebbets Field gehen. Wie alle New Yorker ist auch er vom Kampf um den Titel fasziniert. Seine geheiligten Dodgers versuchen die unsterblichen Giants aufzuhalten. Was würde er dafür geben, um ein paar Stunden hinter der First Base verbringen und Jackie Robinson anfeuern zu können. Aber ein Stadion am helllichten Tag, umgeben von vierunddreißigtausend Menschen? Unmöglich.
    Dann kommt die Saison zu ihrem historischen Höhepunkt, ein Endscheidungsspiel, und Willie hat keine Wahl. Er muss es sehen. Er geht mit Margaret zu Frank’s Bar and Grill, einer der wenigen Bars in Brooklyn mit einem Fernseher. Da die Kneipe auch ein beliebter Treffpunkt für Cops ist, trägt Willie eine Brille mit besonders dunkel getönten Gläsern, falsche Koteletten und reichlich Make-up von Margaret.
    Unterwegs löchert sie ihn mit Fragen. Den ganzen Sommer haben deine Dodgers nicht verloren?
    Ja.
    Und die Giants waren tot.
    Ja.
    Und dann sind die Giants von den Toten auferstanden?
    Und wie.
    Wie haben sie das gemacht?
    Sie haben nie aufgegeben.
    Ich mag die Giants.
    Nein, nein. Margaret, wir drücken den Dodgers die Daumen. Sicher, die Giants haben nie aufgegeben. Aber die Dodgers auch nicht. Als die Giants zurückkamen, hätten die Dodgers die Köpfe hängen lassen können, aber sie haben das letzte Spiel der Saison gewonnen – das hat zum Gleichstand geführt. Und deshalb hat es ein drittes Playoff-Spiel gegeben. Die Giants gewannen das erste, und trotzdem gaben die Dodgers nicht auf. Sie gewannen das zweite. Und heute geht es um alles.
    Warum es dir so wichtig?
    Du identifizierst dich mit Hepburn. Ich identifiziere mich mit den Dodgers. Sie sind Penner, sie sind Verlierer, aber wenn sie nur einmal gewinnen könnten, wäre das ein Zeichen.
    Margaret hakt sich bei Willie unter. Ich drücke deinen Dodgers ganz fest die Daumen.
    Mit ihrem Geburtstagshut sitzt sie auf einem Hocker in der Ecke der Bar, während Willie an der Theke auf und ab geht und den über den Flaschen hängenden Fernsehapparat anfleht.

Weitere Kostenlose Bücher