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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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er ein bisschen was vom Satan in sich.
    Von wem?
    Dem Teufel.
    Willie versteht nicht, was Daddo damit meint. Bis ein älterer Junge aus der Straße, Billy Doyle, geschnappt wird. Einbruch, Ladendiebstahl, nichts Schlimmes. Was es schlimm macht, was es zum Gespräch in Irish Town macht, ist die Tatsache, dass Billy die Namen seiner Verbündeten preisgibt. Die Polizisten haben die Namen aus ihm herausgeprügelt, aber das ist keine Entschuldigung. Nicht in Irish Town.
    Nach seiner Freilassung sitzt Billy vor seinem Haus auf der Treppe, mit gebrochenem Kiefer, das linke Auge blau und eitertriefend, eine faulige Pflaume. Ein Bild des Jammers, doch die Leute gehen trotzdem den ganzen Tag an ihm vorbei, als wäre er Luft. Selbst Kinderwagen schiebende Mütter ahnden seinen Verrat mit der in Irish Town üblichen Strafe: Schweigen.
    Eddie, der mit Billys Brüdern aufgewachsen ist und ihn mag, beobachtet ihn stundenlang aus der Ferne. Nach einer Weile hält er es nicht mehr aus. Er überquert die Straße, geht zu Billy und fragt, wie es ihm geht.
    Nicht so gut, Eddie.
    Eddie beugt sich vor, legt Billy einen Arm um die Schulter und sagt, er soll durchhalten.
    Billy blickt auf und lächelt.
    Eddie spuckt ihm ins Auge.
    Ein paar Wochen später trinkt Billy Doyle Jod. Es gibt keine Trauerfeier.
     
    Sutton sieht eine Familie die Straße entlanggehen, angezogen für die Kirche. Vater, Mutter, zwei kleine Jungen. Vater und Söhne tragen die gleichen Anzüge. Früher, sagt Sutton mit schwacher Stimme, war nichts schlimmer, als ein Judas zu sein.
    Schreiber dreht sich um. Sie reden nicht zufällig von Arnold Schuster?
    Nein.
    Dieses ganze Verräterding, dieser Kodex von Brooklyn, woher kommt der eigentlich?
    Sutton tippt sich auf die Brust. Von hier drin, Kleiner. Aus dem tiefsten Inneren. Als ich zehn war, fanden die Cops einen Mann mitten auf der Straße liegen, mit einem Sackhaken in der Brust. Er war ein Schauermann, der sich mit ein paar Jungs vom Hafen überworfen hatte. Als die Cops ihn ins Krankenhaus brachten, fragten sie ihn, wer ihm das angetan hat. Seine Antwort lautete: Leckt mich. Das waren seine letzten Worte. Könnt ihr euch das vorstellen? Drei Tage später erschien das ganze verdammte Viertel bei seiner Beerdigung, auch die Jungs, die ihn kaltgemacht hatten. Es wurde sogar überlegt, ob man eine Petition bei der Stadt einreichen soll, um eine Straße nach ihm zu benennen.
    Und das alles, weil er die Namen seiner Mörder nicht genannt hat?
    Die Leute halten zu ihrem Clan, sagt Sutton. Wir sind erst zu Menschen geworden, als wir vor einer Million Jahren von den Bäumen gehüpft sind und uns in Clans aufgeteilt haben. Wenn du einen aus deinem Clan verrätst, öffnest du dem Ende der Welt die Tür.
    Aber die Leute, die ihn ermordet haben, waren doch aus seinem Clan.
    Verrat ist hundertmal schlimmer als Mord.
    Irgendwie klingt das alles ziemlich – barbarisch, sagt Schreiber. Als würden die Leute sich das Leben schwerer machen als nötig.
    Keiner macht irgendwas, Kleiner. Die Menschen sind einfach so. Warum kennen wir nach zweitausend Jahren den Namen Judas und nicht den des Soldaten, der Christus ans Kreuz genagelt hat?
     
    1913 ziehen Willies Brüder aus. Einer bekommt Arbeit in einer Fabrik in West Virginia, der andere geht zur Armee. Zum Abschied verprügeln sie ihn noch mal grausam im Schatten von St. Ann’s, aber Willie spürt es nicht. Die Gewissheit, dass sie in ein paar Tagen weg sind und nicht mehr zu seiner Welt gehören, lässt die Schläge an ihm abprallen.
Aber der Herr war mit ihm und neigte die Herzen zu ihm und ließ ihn Gnade finden vor dem Amtmann über das Gefängnis
. Willie sieht zu, wie Groß und Größer davonschlendern, hebt seine Mütze auf, leckt sich das Blut von den Lippen und lacht.
     
    Sutton kniet an der Ecke Sands und Gold auf dem Kopfsteinpflaster. Er sieht aus, als wolle er Knipser und Schreiber gleich einen Heiratsantrag machen.
    Mr Sutton, was machen Sie denn da?
    St. Ann’s, meine Grundschule, war genau hier.
    Ein paar lose Zeitungsseiten fliegen wie Vögel auf einer Windbö vorbei. Sutton tätschelt das Kopfsteinpflaster. Auf genau diesen Steinen bin ich als Kind gegangen, sagt er ganz leise. Zeit – der zarte Dieb der Jugend.
    Was? Wer ist ein Dieb?
    Die Zeit. Irgendein toter Dichter hat das gesagt. Pater Flynn hat es ständig zitiert. Wir mussten es auswendig lernen. Wahrscheinlich stand er genau da, wo ihr zwei jetzt steht, als er uns den Scheiß verzapft hat. Die Zeit

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