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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Eddie, aber er war ein Raubein. Man tat gut daran, ihm nicht blöd zu kommen. Ich dachte immer, er würde Berufsboxer werden. Nachdem er im Schlachthof Hausverbot hatte, hing er in Turnhallen herum. Dann bekam er dort auch Hausverbot. Er hatte nach Abbruch des Kampfes einfach weitergeboxt. Und Himmel, wenn man ihm auf der Straße begegnete und nicht ordentlich Respekt zeigte, dann gnade dir Gott. Er hat dir schneller einen irischen Haarschnitt verpasst, als du denken konntest.
    Irischen was?
    Einen Schlag auf den Hinterkopf mit einem in Zeitungspapier eingewickelten Bleirohr.
     
    Im Herbst 1916 ändert sich ihr Schicksal. Eddie landet einen Job als Bauarbeiter bei einem der Bürotürme, die in Downtown hochgezogen werden, und Happys Onkel besorgt Happy und Willie Arbeit als Laufburschen bei einer Bank. Title Guaranty.
    Für den Bankjob brauchen sie neue Kleider. Willie und Happy finden einen Herrenausstatter in der Court Street, der ihnen Kredit gewährt. Jeder kauft sich zwei Anzüge – zwei Sakkos, zwei Hosen, zwei passende Westen, zwei Seidenkrawatten, Manschettenknöpfe, Gamaschen. An seinem ersten Arbeitstag bleibt Willie auf dem Hinweg vor einem Schaufenster stehen. Er erkennt sich nicht. Und darüber ist er froh. Er hofft, dass er sich nie wieder erkennt.
    Und noch besser ist, dass auch seine Kollegen ihn nicht erkennen. Anscheinend wissen sie nicht, dass er Ire ist. Sie behandeln ihn höflich und freundlich.
    Wochen verfliegen. Monate. Willie verliert sich in seiner Arbeit. Er findet das Bankgeschäft spannend. Nach dem Crash von 1893 , der Panik von 1907 , der Depression von 1914 baut New York sich wieder auf. Bürotürme werden hochgezogen, Brücken über die Flüsse gespannt, Tunnel darunter verlegt, und das Geld für dieses unglaubliche Wachstum kommt von den Banken, was bedeutet: Willie ist an einem großen Unternehmen beteiligt. Er ist Teil der Gesellschaft, eingebunden in ihren Auftrag, beteiligt an ihren Zielen – endlich. Er schläft tiefer, wacht erfrischter auf. Wenn er am Morgen seine Gamaschen anzieht, überkommt ihn das beruhigende Gefühl, dass Eddie vielleicht falschlag. Sie werden nicht von allen verarscht.
     
    Sie halten am früheren Standort von Title Guaranty, einem Gebäude im neuromanischen Stil in der Remsen Street. Sutton betrachtet die Bogenfenster im zweiten Stock, wo er oft mit Happy und den anderen Laufburschen zusammensaß. Ein Schild hängt in einem Fenster.
NIXON / AGNEW . Da hatte ich meinen ersten Job, sagt Sutton. Ein Bankräuber, dessen erster Arbeitgeber eine Bank war – stellt euch das vor!
    Knipser fotografiert das Gebäude. Er dreht die Kamera um, stellt das Objektiv scharf. Sutton wendet den Blick vom Gebäude zu Knipser. 
    Du magst deine Arbeit, sagt Sutton. Hab ich recht?
    Knipser hält inne, dreht sich halb um. Ja, sagt er über die Schulter. Natürlich. Sehr sogar. Woran merken Sie das?
    Ich merke immer, wenn jemand seine Arbeit mag. In welchem Jahr bist du geboren, Kleiner?
    Neunzehnhundertdreiundvierzig.
    Hm. Bewegtes Jahr für mich. Scheiße, sie waren alle bewegt. Wo bist du zur Welt gekommen?
    Roslyn, Long Island.
    Warst du am College?
    Klar.
    An welchem?
    Princeton, sagt Knipser verschämt.
    Im Ernst? Gute Schule. Ich bin mal an einem Morgen über den Campus gelaufen. Was hast du studiert?
    Geschichte. Ich wollte Professor werden, Akademiker, aber im zweiten Studienjahr haben meine Eltern den fatalen Fehler begangen und mir eine Kamera zu Weihnachten geschenkt. Von da an war ich nur noch an einem interessiert: Fotografie. Ich wollte Geschichte einfangen und nicht über sie lesen.
    Ich schätze, deine Leute waren begeistert.
    Oh ja. Mein Vater hat drei Monate nicht mit mir geredet.
    Was gefällt dir so am Bildermachen?
    Sie sagen, im Leben geht es nur um Geld und Liebe. Ich sage, es geht nur um Erfahrungen.
    Ist das so?
    Meine Kamera verhilft mir zu den unterschiedlichsten Erfahrungen. Diese Leica bringt mich durch abgesperrte Türen, vorbei an Polizeibändern, über Mauern, Stacheldraht, Barrikaden. Sie zeigt mir die Welt, Mann. Hilft mir, Zeugnis abzulegen.
    Zeugnis. Ist das so?
    Außerdem sag ich gern die Wahrheit, Willie. Worte kann man verdrehen, aber ein Foto lügt nie.
    Sutton lacht.
    Was ist daran so lustig?
    Nichts. Außer, dass es absoluter Unsinn ist. Nichts lügt mehr als ein Foto. Im Grunde genommen ist jedes Foto eine himmelschreiende Lüge, weil es einen eingefrorenen Augenblick zeigt – und die Zeit lässt sich nicht einfrieren. Ein

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