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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Scheißsystem, sagt er. Alle zehn oder fünfzehn Jahre bricht es zusammen. Weil es kein System ist, das ist das Problem. Jeder Arsch kämpft für sich selber. Der Crash von 1893 ? Mein alter Herr hat Leute gesehen, die standen mitten auf der Straße und haben geheult wie Babys. Die waren erledigt. Ruiniert. Aber wurden die Banker eingesperrt? Nein, die wurden reicher. Natürlich hat die Regierung versprochen, es würde nicht mehr passieren. Aber es ist wieder passiert, hab ich recht? 1907 . 1911 . Und als die Banken draufgingen und der Markt am Ende war, wer ist da wieder ungeschoren davongekommen? Die Banker.
    Willie und Happy nicken.
    Ich will ja nicht sagen, dass der Mörder von McKinley richtig im Kopf war, aber ich versteh gut, was ihn dazu gebracht hat.
    Sie buchten dich noch ein, wenn du so redest, Ed.
    Eddie wirft einen Stein aufs Wasser.
Blansch
 – ein Geräusch wie ein Rülpser von einem dicken Mann. Wir sind auf der Verliererseite, Jungs. Wir sind Iren
blansch
und pleite
blansch
und deswegen doppelt am Arsch. Genau, wie die Reichen es wollen. Man kann nämlich nicht oben sein, wenn keiner unten ist
blansch
.
    Wieso bist du eigentlich der Einzige, der über so was redet?, fragt Happy.
    Ich bin nicht der Einzige, Happy. Lies endlich mal ein verdammtes Buch.
    Happy runzelt die Stirn. Wenn er liest, ist er nicht glücklich.
    Unter den üblen Reichen sind die Rockefellers für Eddie bei weitem die übelsten. Er lässt den Blick über den Horizont schweifen, als wäre dort draußen vielleicht ein Rockefeller, den er mit einem Stein traktieren könnte. Besonders das Massaker in Ludlow, Colorado, lässt ihn nicht los. Im vergangenen Jahr hatte Rockefeller einen Schlägertrupp losgeschickt, um einen Minenstreik zu zerschlagen, und die Schläger brachten fünfundsiebzig unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder um. Jeder andere, sagt Eddie oft, käme dafür auf den elektrischen Stuhl.
    Ich sag euch, was ich am liebsten tun würde, grummelt Eddie und schleudert einen Stein nach einer Möwe. Am liebsten würde ich auf der Stelle nach Uptown zur Villa des alten Rockefeller gehen.
    Und was würdest du dort tun, Ed?
    Hehe. Erinnert ihr euch noch an das Judas-Schaf?
     
    Knipser fährt um den Grand Army Plaza, biegt rechts in die Thirteenth Street. Er hält an, parkt in zweiter Reihe. Es ist verschwunden, sagt Sutton und berührt das Fenster. Mist – mir war klar, dass einiges weg sein würde. Aber alles?
    Was ist verschwunden, Willie?
    Das Haus, in das wir 1915 gezogen sind. Aber zumindest steht noch das daneben. Das dort drüben, so ähnlich sah unseres auch aus.
    Er zeigt auf ein vierstöckiges Sandsteinhaus, rußverschmiert und voller Vogelscheiße.
    Dort hab ich erlebt, wie meine Eltern vor lauter Geldsorgen vor der Zeit alt wurden. Dort wurden die Falten in ihrem Gesicht immer tiefer, ihre Haare weiß. Dort hab ich gelernt, dass es im Leben nur um Geld geht. Und um Liebe. Und um den Mangel daran.
    Ist das alles, Mr Sutton?
    Jeder, der dir was anderes erzählt, ist ein verdammter Lügner. Geld. Liebe. Es gibt kein Problem, das nicht durch das eine oder das andere verursacht wird. Und es gibt kein Problem, das sich nicht durch das eine oder das andere lösen lässt.
    Das scheint mir ein bisschen kurzgefasst, Mr Sutton.
    Geld und Liebe, Kleiner. Nichts anderes zählt. Beides lässt uns den Tod vergessen. Zumindest für ein paar Minuten.
    Bäume säumen den Straßenrand. Sie nicken und verbeugen sich, als erinnerten sie sich an Sutton. Als wollten sie ihn bitten, endlich auszusteigen. Meine besten Freunde waren Eddie Wilson und Happy Johnston, sagt Sutton leise.
    Knipser zupft eine lose Franse von seiner Wildlederjacke. Das sagten Sie schon.
    Wie war Happy denn so?, fragt Schreiber.
    Die Frauen haben ihn geliebt.
    Daher der Name, sagt Knipser, startet den Motor und fährt weiter. Wohin als Nächstes?
    Remsen Street, sagt Schreiber.
    Happy hatte das schwärzeste Haar, das man sich vorstellen kann, sagt Sutton. Wie in Kohle getaucht. Er hatte eine Arschspalte wie du im Gesicht, Kleiner. Auch ein Lächeln wie du. Große weiße Zähne. Wie ein Filmstar. Bevor es Filmstars gab.
    Und Eddie?
    Komischer Fall. Blond, typisch amerikanisches Aussehen, fühlte sich aber nie wie ein Amerikaner. Er hatte das Gefühl, dass Amerika ihn nicht wollte. Und verdammt, er hatte recht, Amerika wollte ihn nicht. Amerika wollte keinen von uns, und du weißt erst, was es heißt, unerwünscht zu sein, wenn Amerika dich nicht will. Ich mochte

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