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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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fahren zur Sands Street in der Nähe des Navy Yard.
    Gottverdammter Perversling, sagt Sutton.
    Knipser lässt das Funkgerät sinken und dreht sich um. Haben Sie was gesagt, Willie?
    Sutton rutscht vor, beugt sich über den Sitz. Horatio Alger.
    Was ist mit ihm?
    Er hat die Straßen nach obdachlosen Kindern durchsucht. Damals waren sie überall, schliefen unter Treppen und Brücken. Straßenaraber wurden sie genannt. Alger hat sie mit nach Hause genommen, sie für seine Bücher interviewt und dann sexuell missbraucht. Heute steht er für den amerikanischen Traum. Ist das zu fassen?
    Malcolm X sagt, es gibt keinen amerikanischen Traum, Willie. Nur einen amerikanischen Albtraum.
    Nein, das stimmt nicht. Es gibt einen amerikanischen Traum. Man darf bloß nicht daraus aufwachen, das ist der Trick.
     
    Nach sechs Monaten bei Title Guaranty wird Willie zum Direktor ins Büro gerufen.
    Sutton, deine Arbeit ist vorbildlich. Du bist fleißig, du bist gewissenhaft, nie unpünktlich oder krank. Alle in der Bank sagen, du bist ein anständiger junger Mann. Mach weiter so, mein Junge, bleib auf diesem Weg, dann wirst du es bestimmt zu etwas bringen.
    Einen Monat später wird Willie entlassen. Happy ebenfalls. Der Direktor – knallrot im Gesicht – schiebt die Schuld auf den Krieg in Europa. Der Handel ist zusammengebrochen, die Weltwirtschaft ins Wanken geraten – alle setzen den Sparstift an. Besonders die Banken. Willie packt seine Sakkos und passenden Hosen und Westen, seine Krawatten und Manschettenknöpfe und Gamaschen in eine Hutschachtel und stellt sie auf ein Bord in Mutters Schrank.
    Er kauft fünf Zeitungen und einen Fettstift und setzt sich in den Park. Auf derselben Bank, wo er früher immer Alger-Romane las, durchkämmt er die Stellenanzeigen. Dann läuft er durch ganz Brooklyn, füllt Formulare aus, gibt Bewerbungen ab. Er bewirbt sich für Bankjobs, Bürojobs, Verkäuferjobs. Wenn er sich als Verkäufer bewirbt, hält er sich die Nase zu. Bei der Vorstellung, jemanden überreden zu müssen, sich etwas zu kaufen, das er weder braucht noch sich leisten kann, wird ihm ganz übel.
    Jeden Morgen trifft Willie Happy und Eddie in Pete’s Awful Coffee. Eddie ist ebenfalls entlassen worden. Den Bauherren des Büroturms ging das Geld aus. Die verarschen uns doch alle, nuschelt Eddie in seine Kaffeetasse. Niemand am Tresen widerspricht ihm. Niemand wagt es.
    Dann, zu Beginn der Baseballsaison 1917 , entdeckt Willie auf dem Weg zu Eddie und Happy einen halben Block entfernt einen Zeitungsjungen mit der Extraausgabe. Er erkennt dieses eine Wort, groß und schwarz und glänzend wie das Abzeichen auf dem Hemd des Zeitungsjungen – KRIEG . Willie gibt dem Zeitungsjungen einen Penny und rennt zu Pete’s Awful Coffee. Atemlos legt er die Zeitung auf den Tresen und erklärt Eddie und Happy, das ist sie, ihre große Chance, sie sollten sich verpflichten. Sie sind erst siebzehn, aber verdammt, vielleicht können sie gefälschte Geburtsurkunden auftreiben. Vielleicht können sie nach Kanada gehen und sich dort melden. Es ist Krieg, es ist schlimm, aber Herrgott – wenigstens etwas.
    Ohne mich, sagt Eddie und schiebt seine Tasse weg. Das ist der Krieg von Rockefeller. Und der von seinem Arschkriecher J. P. Morgan. Für solche Räuberbarone lass ich mir keine Kugel verpassen. Merkst du nicht, dass wir schon einen Krieg führen, Sutty? Wir gegen die.
    Das überrascht mich, sagt Willie. Ehrlich, Ed. Ich dachte, du würdest liebend gern ein paar Spaghettifresser killen. Außer du hast Angst, dass sich die Spaghettifresser als stärker erweisen.
    Happy lacht. Eddie packt Willie am Schlafittchen und holt zum Schlag aus, schüttelt dann den Kopf und lehnt sich auf seinem Hocker zurück.
    Sutty, der Patriot, sagt Happy. Mach dir mal keine Sorgen, Sutty. Wenn du unbedingt Patriot sein willst, gibt es viele Möglichkeiten, deinen Teil zu leisten. Mein alter Herr sagt, jeder Krieg bringt einen Boom mit sich. Warte ab. Bald leben wir wie die Maden im Speck.
    Ein paar Wochen später ist es so weit. New York summt und brummt, ein Bienenstock von Aktivitäten, die Jungen finden Jobs in einer Fabrik für Maschinengewehre. Sie bekommen fünfunddreißig Dollar pro Woche, fast viermal so viel wie Willie und Happy bei Title Guaranty. Willie kann seinen Eltern etwas für Kost und Logis abtreten und noch ein bisschen dazu. Er beobachtet, wie sie das Geld zählen und noch mal zählen, sieht, wie die Anspannung der letzten Jahre von ihnen

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