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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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sagen alles Mögliche zu mir. Betsy, Bessie, Bizzy, Binnie. Ich mag am liebsten Bess.
    Dann also Bess.
    Sie verstummen. Das Klicken ihrer Schuhe auf der Promenade klingt ungewöhnlich laut. Willie denkt daran, wie unmöglich es ist, jemanden zu kennen, jemanden richtig kennenzulernen.
    Sag mal, Bess. Wusstest du, dass der Name Coney Island von einem Iren stammt?
    Tatsächlich?
    Coney
heißt auf Irisch Kaninchen. Wahrscheinlich gab es hier früher mal viele Kaninchen.
    Sie schaut sich um, als würde sie nach einem suchen.
    Große, sagt Willie.
    Sie lächelt schwach.
    Wilde, sagt er.
    Sie erwidert nichts.
    Willie zermartert sich das Hirn und versucht sich zu erinnern, worüber er und Wingy sich unterhalten. Er versucht sich zu erinnern, was der Held in jedem Alger-Roman zur Heldin sagt. Aber er kann nicht klar denken. Er ruft Eddie und Happy. Hey, Freunde, was machen wir als Nächstes?
    Wie wär’s mit der Whip?, sagt Eddie.
    Die Mädchen finden die Idee großartig. Sie eilen gemeinsam zum Luna Park. Zum Glück ist die Schlange kurz. Die Jungen legen ihr Geld zusammen und kaufen sechs Karten.
    Die Whip besteht aus zwölf kleinen Beiwagen auf einer ovalen Bahn. Kabel bewegen die Wagen langsam, ganz langsam, dann sausen sie um enge Kurven. In jeden Wagen passen zwei Personen. Eddie und Freundin eins sitzen in einem, Happy und Freundin zwei in einem anderen. Bleiben Willie und Bess. Als sie einsteigen, streift Bess’ Oberarm den seinen. Nur eine kurze Berührung, aber Willie ist schockiert, was sie in ihm auslöst.
    Ob das Ding schnell fährt?, fragt sie.
    Könnte sein. Das ist ihr bestes Fahrgeschäft. Hast du Angst?
    Ach was. Ich liebe Geschwindigkeit.
    Die Fahrt beginnt, der Wagen ruckelt vorwärts. Willie und Bess pressen sich aneinander, der Wagen wird langsam schneller. Der Kitzel besteht darin, dass es ganz langsam anfängt, sagt Bess. Sie halten sich an den Seiten fest, lachen und kichern. Sie kreischt, als sie durch die erste Kurve sausen. Willie kreischt ebenfalls. Eddie und Freundin eins, im Wagen vor ihnen, drehen sich hektisch um, als wären Willie und Bess ihnen auf den Fersen. Eddie streckt einen Finger aus und schießt. Willie und Bess schießen zurück. Eddie ist getroffen. Er stirbt und hat damit einen Vorwand, auf Freundin eins zusammenzubrechen.
    Plötzlich bockt der Wagen, kriecht, bleibt stehen. Bess seufzt. Lass uns noch mal fahren, sagt sie.
    Willie und die Jungen haben kein Geld für eine weitere Runde. Zum Glück bemerkt Willie die lange Schlange. Sieh mal, sagt er.
    Oh verflixt, erwidert sie.
    Die drei Pärchen bummeln wieder über die Promenade.
    Die Dunkelheit bricht herein. Auf Coney Island gehen flackernd die Lichter an. Willie erzählt Bess, dass es insgesamt eine Viertelmillion Glühbirnen sind. Coney Island ist das Erste, was Schiffe vom Meer aus sehen. Genau das hier ist das das erste Bild, das sich allen Einwanderern nach Amerika bietet.
    Und das letzte, wenn man nach Europa segelt, sagt Bess.
    Woher weißt du das?
    Ich hab’s gesehen. Schon mehrere Male.
    Oh.
    Sie zeigt auf den Mond. Sieh mal, sagt sie. Ist der Mond heute Abend nicht schön?
    Als gehörte er zum Park, sagt Willie.
Lunar-
Park.
    Donnerwetter, Mr Sutton, sagt Bess im theatralischen Ton einer Schauspielerin. Gutaussehend und auch noch klug?
    Er spielt mit. Miss Endner, würde es Ihnen etwas ausmachen, das zu wiederholen?
    Haben Sie mich nicht verstanden, Mr Sutton?
    Ganz im Gegenteil, Miss Endner, ich kann mein Glück nicht fassen. Eine so schöne junge Frau macht mir ein Kompliment! Ich würde das gern auswendig lernen.
    Bess hält inne. Sie blickt Willie mit einem Lächeln an, das besagt: Vielleicht verbirgt sich da mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Nach einem langsamen Start ändert sich ihr Gefühl. Wie in der Whip.
    Die drei Paare treffen sich am Geländer und lauschen den rauschenden Wellen, ein Geräusch, als würde das Echo des Krieges übers Meer treiben. Der Wind frischt auf. Er bläht die langen Kleider der Mädchen, lässt die Krawatten der Jungen flattern wie Flaggen. Bess hält ihren Hut fest. Happy nimmt seine Mütze ab und gibt sie Eddie, dann zupft er auf seiner Ukulele.
    I don’t wanna play in your yard
    I don’t like you anymore
    You’ll be sorry when you see me
    Sliding down our cellar door
    Alle kennen den Text. Bess hat eine schöne Stimme, aber sie zittert, weil ihr kalt ist. Willie zieht seinen Mantel aus und legt ihn ihr um die Schultern.
    You can’t holler down our rain

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