Knapp am Herz vorbei
Trichter. Es gibt nur eins, was zählt. Wie schaut ein Junge dich an? Siehst du in seinen Augen, dass er
immer
da sein wird? Genau so hast du mich in der Whip angesehen. Das stand in deinen Augen. Genau so siehst du mich jetzt an. Wenn ich meine Mutter und Schwester höre, dann träumen sie nur von dem, was ich hier unter diesem Baum erlebe. Oh Willie. Ich liebe dich eben, mehr nicht. Oh.
Bess’ Beteuerungen, all ihre süßen Nichtigkeiten, beginnen und enden mit diesem Wort. Es ist die Einleitung und das Ende jeder Zärtlichkeit. Oh – sagt sie, bevor sie ihn küsst. Oh – sagt sie danach. Oh – sagt sie, wenn sie ihm den Rücken zudreht, als wäre sein phantastischer Anblick einfach nicht zu ertragen.
Oh Willie. Oh.
Sutton lässt das Geländer los. Okay, Jungs, gehen wir. Nächster Halt.
Sie haben ausgesehen, als wären Sie tausend Meilen weit weg, Mr Sutton.
Mindestens zweihundertfünfzigtausend.
Woran haben Sie gedacht?
Dass ich einen Drink brauchen könnte. Willie braucht einen Jameson.
Oh, Mr Sutton. Das ist keine so gute Idee.
Kleiner, hast du’s immer noch nicht kapiert? Unsere ganze Tour ist keine gute Idee.
Acht
Von außen hat Willie das Haus der Endners schon oft gesehen – Buntglasfenster, schöne Balustraden, ein Eisentor mit Spitzen obendrauf –, und er hat sich immer davor geduckt. Anfang 1919 betritt er es zum ersten Mal.
Ein Butler nimmt ihm den Mantel ab. Willie blinzelt, versucht etwas zu erkennen. Wenn Coney Island der hellste Ort auf Erden ist, ist Château Endner der dunkelste.
Wir halten das Haus wegen Mummy schummrig, flüstert Bess. Sie hat Migräne.
Bess führt Willie an der Hand durch einen langen Flur und in die Bibliothek, deren Wände gewaltige Bücherschränke mit Glastüren säumen. Willie betrachtet die Titel: größtenteils seltene Bibeln, diverse religiöse Texte. Auf dem Fußboden liegt ein gewaltiger Wollteppich. Der kommt aus China, flüstert Bess.
Mr und Mrs Endner stehen am anderen Ende des Teppichs und wärmen sich vor einem Kamin, in dem man ein Reh rösten könnte. Das Knacken und Knarzen von Holz sind die einzigen Geräusche im Raum, die Flammen das einzige Licht.
Mummy, Daddy, das ist Willie.
Willie macht sich auf den Weg. Den Teppich zu überqueren dauert länger, als den East River zu durchschwimmen. Er gibt ihnen die Hand. Sie stehen eine Weile schweigend da. Dann erscheint ein Dienstmädchen an Willies Seite und bietet ihm ein Glas Sherry an. Danke, sagt er, seine Stimme knarzt wie das Feuerholz.
Ein zweites Dienstmädchen verkündet, dass das Essen aufgetragen wird.
Willie und Bess folgen Mr und Mrs Endner durch einen weiteren langen Flur in ein Esszimmer mit hoher Decke. Der dunkelste Raum bisher, beleuchtet von nur zwei Kandelabern. Willie begutachtet den Tisch. Er würde die halbe Wohnung der Suttons einnehmen. Mr Endner sitzt am Kopfende, Mrs Endner auf der anderen Stirnseite. Willie und Bess sitzen sich in der Mitte gegenüber. Ein drittes Dienstmädchen stellt einen Teller gegrillte Lammkoteletts mit Minzgelee und überbackenen Kartoffeln vor Willie ab.
Mr Endner spricht das Tischgebet. Amen, sagt Willie, etwas zu laut.
Mr Endner rührt sein Essen nicht an. Stattdessen macht er viel Aufhebens um seinen Schnurrbart, während er Willie beobachtet.
Wo arbeiten Sie, Willie?
Nun, Sir. Im Augenblick bin ich auf Arbeitssuche. Ich wurde vor kurzem aus einer Munitionsfabrik entlassen. Davor war ich bei Title Guaranty beschäftigt.
Und was wurde aus dieser Stelle?
Ich wurde auch entlassen.
Mr Endner zieht heftig an seiner linken Schnurrbarthälfte.
Welchem Glauben hängen Sie an, mein Sohn?
Ich wurde als Katholik erzogen, Sir.
Mr Endner schiebt die rechte Schnurrbartspitze in sein Nasenloch. Wir Endners sind Baptisten, sagt er. Genau genommen ist Mr John D. Rockefeller sr. ein enger Freund – er hat schon an diesem Tisch gegessen. Sein Sohn baut gerade eine neue Baptistenkirche. Sie wird wunderbar. Prachtvoller als alles, was sie in Europa haben.
Das Letzte, was Willie über den alten Rockefeller gehört hat: Eddie meinte, sein Vater hätte kranke Leute im Süden über den Tisch gezogen und ihnen wirkungslose Wunderöle verkauft. Was ein Witz ist, meint Eddie, da Rockefeller der Gründer von Standard Oil ist. Willie füllt seinen Mund mit Essen und nickt. Ja, Sir, ich glaube, darüber habe ich etwas gelesen.
Mrs Endner sieht Willie an, dann Bess. William, sagt sie – woher kommt deine Familie?
Aus
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