Knapp am Herz vorbei
seines Nachbarn in Irish Town. Das Hotelregister führt die Staatsanwaltschaft später als Beweisstück A.
Da Willie und Bess am Morgen heiraten wollen, hält Bess es für sinnlos, noch länger zu warten. Sie schließt die Tür ihrer Suite, öffnet die oberen zwei Knöpfe an ihrem Kleid. Dann die unteren beiden. Willie starrt auf ihr Korsett. Es sieht aus, als wäre es schwerer zu öffnen als der Safe ihres Vaters. Sie beginnt mit der Prozedur, löst eine Seidenschleife nach der anderen.
Er legt sich auf den Rücken. Er kann ihr nicht länger widerstehen. Er erinnert sich daran, versichert sich, dass er es auch nicht muss. Sie schlüpft ins Badezimmer. Er zählt rückwärts, versucht sich zu beruhigen.
Bist du bereit? Ja oder nein?, ruft sie.
Nein, denkt er.
Sie kommt nackt heraus, die Hände auf den Hüften, und mimt die Schüchterne, aber Bess ist alles andere als schüchtern. Sie hat Macht, die immense Macht der Schönheit und Jugend, und die will sie ausspielen. Es ist, als würde ihr das Geld ein Loch in die Tasche brennen. Willie starrt auf ihre Rundungen und Kurven, ihr Zahnfleisch und ihr Gebiss, ihren leicht geröteten Hals. Er starrt auf ihre Nippel, die weiche Wölbung ihrer Hüften, ihren glatten Bauch. Seine Liebe zu Bess hat ihm schon viel Schmerz und Kummer bereitet, aber jetzt sieht er, dass alles Künftige weit härter wird. Bess und ihre Macht sind wie eine gigantische Welle. Und Willies Schiff ist klein.
Du starrst mich an, Willie Boy.
Tatsächlich?
Sie sind zu klein, ich weiß.
Wer?
Meine Brüste. Ich bin flach wie ein Pfannkuchen.
Nein. Du bist perfekt.
Sie geht zum Bett, stützt ein Knie auf die Matratze. Sie tut so, als würde sie zögern. Er öffnet seinen Gürtel, sie zieht ihm die Hose aus.
Willst du mich haben, Willie?
Wenn du mich lässt.
Ich will dich nicht lassen. Ich will, dass du mich nimmst.
Gut. Ich nehme dich.
Tut es weh?
Könnte sein, Bess.
Hoffentlich tut es weh.
Nein.
Sie sagen, wenn es weh tut, weiß man, dass man eine Frau ist.
Dann tu ich dir weh.
In den kommenden Jahren, in Zellen, in einsamen Zimmern, immer wenn Willie im Geiste diese Nacht durchspielt, versucht er sich an seine Gedanken zu erinnern. Dann fällt ihm ein, dass es keine Gedanken gab, nur Impulse, aufblitzende Bilder und brandende Wellen in seinem Herzen. Vielleicht ist deshalb alles so schnell vorbei. Zeit ist eine Erfindung des Verstands, und bei Bess ist sein Verstand ausgeschaltet. Was ein Teil der Freude ist. Und die Gefahr.
Im Nu sind sie fertig und fallen in einen Schlaf, tief wie ein Brunnen. Drei Stunden später wacht er auf, und Bess streichelt ihm das Haar. Ich dachte, das Ganze war ein Traum, sagt er. Sie lächelt. Zwei Stunden später wacht er auf, und Bess’ Kopf liegt auf seiner Brust. Er seufzt. Sie küsst seine Finger. Eine Stunde später wacht er auf, und Happy sitzt auf der Bettkante. Happy – wie spät ist es?
Happy lächelt über die blutverschmierten Laken. Zeit zu türmen.
Bess betrachtet die Laken und hält die Hand vor den Mund. Die können wir nicht zurücklassen, sonst denken sie, da ist ein Mord passiert.
Sie ziehen das Bett ab und stopfen die Wäsche in die karierte Reisetasche. Blutgeld, sagt Happy im Scherz.
Beim Frühstück im Hotelspeisesaal ziehen sie Bilanz. Inzwischen hat man den leeren Safe bestimmt entdeckt. Bess’ Vater hat sicherlich die Polizei gerufen. Die Jagd ist also eröffnet. Sie müssen sich von Zügen fernhalten, und das heißt ein Auto kaufen.
Können wir uns ein Auto leisten?, fragt Bess.
Willie und Happy lachen. Wir können uns acht leisten, sagt Happy.
Am Stadtrand finden sie ein Autohaus. Francis Motors. Sie wählen einen nagelneuen Nash, tannengrün, mit offenem Verdeck, glänzenden Nickelscheinwerfern und einem in weißes Leder gehüllten Ersatzreifen. Der Verkäufer gluckst, als Willie ihm zu verstehen gibt, dass er ihn nimmt. Der Verkäufer gluckst nicht mehr, als Willie zweitausend auf die Haube zählt.
Mein Sohn, ich weiß nichts – und ich will auch nichts wissen.
Sie fahren in die nächste Stadt und gehen einkaufen. Vier neue Anzüge für Willie und Happy, acht neue Kleider für Bess. Als sie an einem Geschäft mit einem dreiviertellangen Eichhörnchenpelzmantel im Schaufenster vorbeikommen, presst Bess ihr Gesicht an die Scheibe. Neunhundert, sagt sie, von fünfzehnhundert herabgesetzt. Das ist fast geschenkt.
Wieso fast?, fragt Willie.
Der Mantel ist graubraun, wie Regenwolken, wie Spülwasser – wie
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