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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sendhil Mullainathan
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wenigeren Sekunden weitaus öfter in diesen Zustand gerieten.
    Warum borgten sich also die Armen mehr? Ist unser Ergebnis die Folge des Tunnelblicks, oder geht es um etwas anderes? Vielleicht bringt Zeitdruck die Leute dazu, in Panik zu borgen? Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass man Fragen in 15 Sekunden beantworten muss. Wir haben diese Ergebnisse aber in zahlreichen anderen Zusammenhängen wiedergefunden. Bei der Angry-Blueberries- Untersuchung von Kapitel 1 erlaubten wir das Borgen auch. Wir fanden heraus, dass die »armen« Spielteilnehmer mehr borgten, aber durch die Möglichkeit, borgen zu können, letztlich Schaden erlitten. Wieder spielte der Fokus eine Rolle: Die Mitspieler, die sich bei jedem Schuss mehr Zeit nahmen, borgten mit größerer Wahrscheinlichkeit. Je engagierter sie waren, umso mehr borgten sie. Wir haben das bei vielen derartigen Spielen untersucht, und die Ergebnisse stimmten alle überein: Knappheit, in welcher Form auch immer, führt stets dazu, sich etwas zu borgen.
    Vielleicht lassen sich aber unsere Ergebnisse auch auf eine allgemeine Kurzsichtigkeit zurückführen? So haben Forscher eine Neigung zum Hier und Jetzt dokumentiert, die sie hyperbolische Abzinsung oder gegenwärtige Tendenz nennen. 14 Wir überschätzen den sofortigen Gewinn auf Kosten späterer Gewinne. Das ist der Grund, warum es so schwer ist zu sparen, zum Training zu gehen oder die Steuern pünktlich zu zahlen. Natürlich führen diese »gegenwärtigen Tendenzen« auch dazu, zu borgen. Vielleicht borgen die Armen einfach, weil sie mehr von diesen gegenwärtigen Tendenzen bestimmt werden. Einige haben auch versucht, das aktuelle Schuldenmachen überall auf der Welt mit diesem Argument zu erklären. Das Besondere an unseren Daten ist aber, dass unsere Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip für arm erklärt wurden. Sie unterschieden sich von den Reichen nur durch den Zufall beim Werfen einer Münze. Eigentlich müssten beide Gruppen, die Armen wie die Reichen, bei unserem Spiel die gleichen Neigungen zeigen. Ansätze, die kurzsichtiges Denken durch die persönlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich erklären wollen (seien es die Unterschiede der momentanen Neigungen oder etwas anderes), müssten auch erklärenkönnen, wie die Knappheit zum Borgen führt, wenn die Reichen und Armen wie in unserer Untersuchung per Zufall »erzeugt« werden und ansonsten so ähnlich sind, wie man nur sein kann.
    Unsere Untersuchungen unterstützen eine allgemeinere Hypothese: Der Grund, dass Arme borgen, ist die Armut selbst. Man muss nicht auf Kurzsichtigkeit oder die Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, zurückgreifen, um eine Erklärung zu finden. Brutale Geldverleiher mögen gewiss diese Art des Borgens erleichtern, aber sie sind nicht die Ursache. Der mächtige Impuls, sich etwas zu borgen, hohe Zinsen zu akzeptieren und einer denkbaren Abwärtsspirale aus Krediten auf ihre schlüpfrigen Abhänge zu folgen, ist eine direkte Folge des Tunnelblicks.
    Knappheit führt dazu, dass wir borgen, und stößt uns immer tiefer in Knappheit.
die zukunft vergessen
    Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten mit einer knappen Deadline vor Augen. Plötzlich, nach langen Wochen der Planung, fällt Ihnen auf, dass der Bericht morgen fertig sein muss − und Sie sind noch nicht so weit. Sie legen eine Nachtschicht ein und tun alles, was Sie können, aber es gibt ein paar Nachweise, die Sie nicht finden können. Jedenfalls nicht bis morgen. Sie schicken also Ihren Bericht an Ihren Chef so, wie er ist, und hoffen das Beste, um dann zu anderen dringenden Dingen überzugehen. In der folgenden Woche, wenige Stunden vor einer wichtigen Dienstreise, teilt Ihnen der Chef mit: »In dem Bericht fehlen einige Nachweise, ich brauche die sofort!« Wie ein Bumerang ist Ihre Blitzlösung zurückgekehrt, und das im ungünstigsten Augenblick. Wie das Aufnehmen eines Kredits erschien Ihr Verhalten im Tunnel attraktiv, hatte aber eine (Abwärts-)Spirale außerhalb des Tunnels zur Folge, die Sie immer tiefer im Sumpf der Knappheit versinken ließ.
    Die Organisationsforscher Roger Bohn und Ramchandran Jaikumar illustrieren das in einer Geschichte von einem Produzenten von Stahlgeflecht. 15
    Da die verfügbare Betriebszeit der Maschinen wichtig ist, bat die Firmenleitung die für die Instandhaltung verantwortlichen Ingenieure, Defekte so schnell wie möglich zu beheben. Trotzdem wurde die Leistungsfähigkeit insgesamt nicht besser. Erst nachdem das Unternehmen sich Maschine

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