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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sendhil Mullainathan
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drückend gewesen sein, aber wir können uns ausmalen, was passierte. Eine Deadline hat nur Auswirkungen, wenn sie näher rückt. Bis dahin ist sie etwas Abstraktes, das nochkein Denken unter der Herrschaft der Knappheit hervorruft. Für die Gruppe mit den drei Deadlines tauchte aber dieses Denken dreimal auf, während die Gruppe, die drei Wochen Zeit hatte, diesen Druck nur einmal zu spüren bekam. Das alles ist, nebenbei bemerkt, ganz vertraut: Wir entfalten einen Schwung von Produktivität, wenn eine Deadline, die schon immer da war, näher kommt.
    Der Tunnelblick erzeugt auf diese Weise eine Tendenz zum Borgen. Da nur die dringendste Knappheit in den Tunnel gelangt, erscheinen Kurzzeitkredite besonders attraktiv. 11
    Einen Kredit aufzunehmen muss natürlich keine üble Sache sein. Wenn Sie wirklich nächste Woche mehr Zeit haben, ist es äußerst vernünftig, Dinge aufzuschieben. Geld zu borgen, um die Miete zu bezahlen und damit die Zwangsräumung zu vermeiden, ergibt Sinn, wenn Ihr Gehalt bald kommt. Wenn wir mit unseren Ressourcen − Zeit oder Geld − wirklich heute mehr erreichen können als in der Zukunft, ist ein Kredit eine gute Idee. Blicken wir aber durch den Tunnel, borgen wir mehr Zeit oder Geld, als die Kosten-Nutzen-Rechnung vorschlägt. Sind wir mit Knappheit konfrontiert, borgen wir − gleichgültig, ob es langfristig Sinn ergibt oder auch nicht.
auf in den (klein-)krieg!
    Diese Erklärung für das Borgen unterscheidet sich von den üblichen Annahmen. Um zu erklären, warum Arme exzessiv Geld borgen, muss man nicht auf das Fehlen einer Erziehung im Umgang mit Geld verweisen und auch nicht auf die Habgier der räuberischen Geldverleiher oder eine übergroße Tendenz zur Maßlosigkeit. Um zu erklären, warum die Überbeschäftigten Termine verschieben und in Rückstand kommen, muss man nicht an schwache Selbstkontrolle, Unverständnis oder das Fehlen von Fähigkeiten zum Zeitmanagement erinnern. Stattdessen gilt: Das Borgen ist die einfache Folge des Tunnelblicks. Um diese Idee zu testen, nehmen wir Zuflucht zu einem unsere liebsten Werkzeuge: Wir erschaffen im Labor künstlich Knappheit.
    Diesmal verwenden wir Family Feud, 12 eine amerikanische TV-Spielshow, mit der merkwürdigerweise unser Kollege Anuj Shah sehr vertraut war – was man von einem unter Zeitdruck stehenden Doktoranden in Princeton, der er damals war, nicht erwarten würde. Die Kandidaten von Family Feud sollten beispielsweise Auskunft geben über »Dinge, die Barbie wieder verkaufen könnte, wenn sie schnell Geld braucht«. Vor der Show wurden hundert zufällig ausgewählte Amerikaner mit diesen Fragen konfrontiert und nach ihren Antworten gefragt. Die Spielteilnehmer mussten dann die häufigsten Antworten erraten und bekamen dafür Punkte. Die Antwort »Barbies Traumwagen« brachte 35 Punkte, da 35 von 100 Befragten diese Antwort gaben, »Ken«, der Freund Barbies, brachte nur 21 Punkte. In vielen Shows werden Quizfragen gestellt, die geheimnisvolle Kenntnisse voraussetzen, wobei sich die Zuschauer oft fragen, ob die Teilnehmer zum Spaß beispielsweise Lexika lesen. Mit den Fragen bei Family Feud kann dagegen jeder etwas anfangen. Sie sind spannend, weil es nicht um exakte Antworten geht, sondern um das Erraten der »Top-Antwort«, der Antwort, die bei den Umfragen am häufigsten gegeben wurde. Damit wird die Wahrheit demokratisiert, sodass man von der ersten postmodernen Spielsendung sprechen kann.
    Shah stellte fest, dass die Teilnehmer von Family Feud unter Knappheit leiden: Sie müssen unter Zeitdruck antworten und haben nur wenig Zeit, um nachzudenken. Die üblichen Quizfragen erfordern, dass man sich an eine Antwort erinnert − entweder man weiß es oder nicht. Bei Family Feud erfordern die Fragen einen anderen, kreativeren Ansatz. Wenn gefragt wird: »Benenne etwas, das Barbie verkaufen würde«, durchforstet man verschiedene Kandidaten für eine Antwort. Man könnte an Dinge denken, die mit Barbie assoziiert sind, und überlegen, ob eines von ihnen verkauft werden könnte. Man könnte aber auch an Dinge denken, die man üblicherweise verkauft, und überlegen, ob Barbie sie besitzt. Jeder der Wege führt zu einer anderen Antwort − von »Ken« bis »Auto«. Die Antworten sind ein bloßes Ratespiel. Dann muss man über die mögliche Popularität jeder Antwort nachdenken. Der Zeitdruck hat zur Folge, dass nur wenige Wege nachverfolgt werden können. Auch dasAbschätzen, was in einer Antwort steckt, darf nicht zu lange

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