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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sendhil Mullainathan
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dauern. Anders als Überbeschäftigte, deren Knappheit sich in Tagen oder Stunden misst, geht es bei den Teilnehmern an Family Feud um Sekunden. Statt zu entscheiden, welches Projekt zuerst bearbeitet werden muss, müssen sie sich blitzschnell entscheiden, um die populärsten Antworten zu nennen.
    Wir haben in Princeton Studenten gewonnen, einige Runden Family Feud unter Aufsicht in einer festgelegten Zeit zu spielen. 13 Die Zeitfestlegung bestimmte ihren »Wohlstand«. Die »Reichen« hatten mehr Zeit, die »Armen« weniger. In jeder Runde gab es eine neue Frage. Am Ende aller Runden wurden die Punkte zusammengezählt und in Dollar ausgezahlt.
    Nachdem wir Reiche und Arme geschaffen hatten, führten wir noch eine Variante ein, der unser eigentliches Interesse galt: Die Mitspieler durften sich Zeit borgen − gegen Zinsen natürlich. Jede zusätzliche Sekunde, die sie bei einer Runde erbaten, kostete sie zwei Sekunden der Gesamtzeit. Wir erlaubten auch, Zeit zu »sparen«: Wenn sie eine Runde früher beendeten, wurde die gesparte Zeit wieder dem Depot der Gesamtzeit gutgeschrieben.
    Die Armen konzentrierten sich voll auf ihre Aufgabe. Sie waren, gemessen an der Zeit, effektiver als die Reichen. Sie rieten öfter richtig und bekamen mehr Punkte. Das galt besonders für die späteren Runden, als die Gesamtzeit zu Ende ging. Die Armen hatten dann 50 Prozent mehr Antworten pro Sekunde und lagen auch öfter richtig. Wären die Reichen so konzentriert gewesen wie die Armen, hätten sie mehr Punkte bekommen können. Da wir den Reichen dreimal so viel Zeit gaben wie den Armen, konnten sie dreimal so viele Runden spielen und dreimal so viele Punkte gewinnen. Sie gewannen aber nur 1,5-mal so viele Punkte wie die Armen. Weitere Analysen bestätigten, dass keiner der Gründe, die uns in den Kopf kamen, diese Ergebnisse erklären konnte. Weder waren die Reichen, die länger spielten, gelangweilt, noch wurden die besten Ergebnisse in jeder Runde gleich zu Anfang erzielt.
    Die Armen waren effektiver, weil sie tunnelten. Das hatte zur Folge, dass sie weit mehr Zeit als die Reichen borgten. Trotz der hohen Zinsen erschienen die Kredite im Tunnel höchst attraktiv,weit attraktiver, als man sie von außerhalb des Tunnels einschätzen würde. Deshalb nahmen die Armen oft Zuflucht zu Krediten, um sich für den Moment zu behelfen. Aber am Ende war es ihr Schaden. Als wir die Möglichkeit zu borgen ausschlossen und sie die Runde ohne Kredite so gut wie möglich spielen mussten, um dann zur nächsten überzugehen, erzielten die Armen 60 Prozent mehr Punkte, während die Reichen von dieser Variation nicht beeinflusst wurden.
    In einer anderen Version des Experiments griffen wir auf die Kreditfalle zurück, die der Erfahrung von Sandra entsprach. Die Armen in Family Feud verlängerten ihre Kredite genau wie die wirklich Armen, die ins Kreditbüro gehen. Die Schulden sollten in der nächsten Runde zurückgezahlt werden, womit diese Runde ein wenig kürzer geworden wäre. Auch die folgenden Runden wurden nun kürzer und kürzer, und die Teilnehmer hatten das Gefühl, weitere Sekunden borgen zu müssen. Das Borgen zu Beginn erzeugte für die Armen eine gnadenlose Spirale. Unter Zeitdruck und zu sehr in Eile, um produktiv zu raten, borgten sie noch mehr. Die meiste Zeit ging nun damit drauf, frühere Schulden nebst den Zinsen zu zahlen. Und wie zuvor, als es ihnen erlaubt war, zu borgen, schnitten die Armen viel schlechter ab als bei verbotenem Borgen. Auch diesen Effekt fanden wir bei den Reichen nicht.
    Unsere Untersuchung zeigt die enge Verbindung von Erfolg und Niederlage, wenn Knappheit herrscht. Die Mitspieler in Family Feud borgten am meisten, wenn sie am produktivsten waren, wenn sie sich am stärksten engagierten und wenn sie das Gefühl hatten, wirklich mehr Zeit zu brauchen. Sie hatten in gewissem Sinne Recht, sich etwas zu borgen. Diese Extra-Sekunden konnten sich wirklich auszahlen. Anders gesehen war es falsch zu borgen, weil dieser Erfolg die eingehandelten Zinsen nicht ausglich. Sie nahmen im Tunnel ganz richtig wahr, dass eine Extra-Sekunde für den Moment wirklich helfen konnte. Der Fehler war aber, das zu vernachlässigen, was außerhalb des Tunnels lag: Was würde diese Extra-Sekunde im weiteren Verlauf des Spiels kosten? Es ist wichtig, anzumerken, dass sowohl die Reichen wie die Armen dieses Muster der Kreditaufnahme zeigten, wenn sie besonders produktiv warenund unter Druck standen. Es war aber so, dass die Armen mit ihren

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