Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
umlegte und dann den ganzen Brennraum nach vorn zog. Er klappte den gusseisernen Kasten wie eine Tür seitlich weg. Dahinter war nun eine große Nische in der Wand, in der der Kaminofen gesteckt hatte. Weiz kniete sich davor und beugte sich in die Nische, die sicher fünfzig Zentimeter tief war.
Lila redete derweil beruhigend auf Birgit ein, die in regelmäßigen Abständen nach Martin rief. Ich fand, dass es endlich Zeit für den Auftritt der zwei Engel für Charlie war, die die dritte im Bunde, also Birgit, retten wollten. Ich stellte mir vor, wie eine von beiden, vorzugsweise Katrin, in knielangen, schwarzen Lackstiefeln mit Stilettoabsätzenan einem langen Seil hängend durch die große Glasschiebetür brach und …
Etwas brach durch die große Glasschiebetür im Esszimmer, aber es war nicht Katrin am Seil, sondern ein Aufsitzrasenmäher Marke »Vorstadthanseltraum«. Samstags saßen die großen Jungs darauf wie auf einem Holzpferdchen, mit einer Flasche Bier in der Hand, und dann mähten sie den Rasen sieben Mal rauf und runter, um den Tag mit einem Gefühl von Freiheit und Abenteuer zu verbringen, anstatt mit Mausi shoppen zu gehen. Aber hier saß niemand drauf.
Trotzdem hatte Offermann sich zu dem Rasenmäher gedreht, hatte seine Knarre von Weiz’ Kopf genommen und auf das knatternde Teil gerichtet. Damit war Weiz aus der Schusslinie.
Jenny sprang aus der Diele in das Zimmer, richtete ihre Kanone auf Offermann und schrie: »Runter mit der Waffe!«
Offermann wirbelte herum, kam aber nicht weit. Eine Bratpfanne auf seinem Hinterkopf stoppte die Drehbewegung abrupt. Stattdessen verdrehte er die Augen und sackte zusammen.
»Scheiße, das war nicht abgesprochen«, maulte Jenny.
»Ich war mir nicht sicher, ob du auf deinen Lover schießen könntest«, erklärte Katrin, während sie ihr rechtes Handgelenk vorsichtig ausschüttelte. »Ich glaube, ich habe mir die Hand verstaucht.«
Lila hatte beim Splittern der Scheibe angefangen zu kreischen und hörte immer noch nicht auf. Katrin ging zu ihr, fasste ihre Hände, die sie auf die Ohren gepresst hielt, und zog sie daran hoch. Weiz kam angetaumelt und nahm seine Tochter in die Arme. Katrin wandte sich an Birgit. »Wie geht es dir?«
Die Antwort war ein gellender Schrei.
Jenny legte Offermann Handschellen an, fesselte seine Füße zur Sicherheit noch mit einem Springseil, das Lila aus ihrem Zimmer geholt hatte, und ging vors Haus, um die Kollegen zu rufen.
Katrin, Weiz und Lila brachten Birgit in Lilas Zimmer und wollten sie dort auf das Bett legen, aber Birgit deutete auf einen Hocker, auf den sie sich sinken ließ. Katrin und Lila zitterten, Birgit hechelte, schrie und stöhnte abwechselnd, nur Weiz war plötzlich die Ruhe selbst.
»Keine Panik, ein Kind kommt ganz von allein. Der ganze Hokuspokus drumherum ist eigentlich totaler Quatsch. Also entspannen Sie sich, Sie müssen nur im richtigen Moment mitmachen. Die Regie führt Ihr Kind. Okay?«
Katrin wurde immer blasser, aber Birgit lächelte Weiz an. »Oka-iiiiih.«
Weiz beauftragte Lila mit diversen Botengängen. Mineralwasser für Birgit, ein paar Bettlaken, einen Tennisball.
»Tennisball?«, fragte Katrin.
»Den kann sie drücken, ohne jemandem die Finger zu brechen.«
Katrin blickte auf ihren Handrücken, auf dem Birgits Finger rote Abdrücke hinterlassen hatten. »Gute Idee.«
Draußen war nun Martin endlich aus dem Taxi gestiegen und hopste ungelenk auf Jenny zu. Er fiel hin, rappelte sich aber sofort wieder auf und rannte – sofern man die hektische Fortbewegung bei ihm so nennen konnte – auf die Eingangstür zu. Wenige Sekunden später hockte Martin vor Birgit auf dem Boden und fühlte mit beiden Händen auf Birgits Bauch.
»In welchen Abständen kommen die Wehen?«
Lila holte eine rosafarbene Stoppuhr und checkte die Abstände.
»Hey, das wird ein Schnellstart«, sagte Weiz lässig. »Was fahrt ihr für ein Auto?«
»Ente«, sagte Martin, aber Birgit schrie »BMWeeeeh« mit einer Wehe, die ziemlich schmerzhaft aussah.
Weiz hatte inzwischen die Laken über den Hocker, auf den Boden und das Bett gelegt. »Such dir den Platz, der dir am liebsten ist.«
»Ich heiße übrigens Birgit«, flüsterte Birgit.
»Bastian«, entgegnete Weiz grinsend.
Birgit trank einen Schluck Wasser und bat Martin, ihr beim Ausziehen zu helfen.
»Ist es euch lieber, wenn ich rausgehe?«, fragte Weiz.
Birgit schüttelte den Kopf. Katrin war inzwischen ziemlich blass und Lila starrte mit weit aufgerissenen
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