Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Gregor und drehte sich zur Tür. Dann blieb er noch einmal stehen. »Was machst du hier?«
»Mein Vater lebt hier. Wenn du Zeit hast, besuch ihn doch mal. Er würde sich freuen.«
Wenn Sie mich fragen, war dieses Zusammentreffen von Gregor und Sahne, wie er seine Verflossene nannte, vollkommen unspektakulär. Und selbst im Rückblick kann ich nicht erkennen, ob es bei diesem Treffen gefunkt hatte, ob die beiden einen geheimen Code für versteckte Botschaften genutzt hatten oder ob irgendetwas darauf hingedeutet hatte, dass Gregor acht Tage später für den Mord an seiner Sahneschnitte in den Knast wandern würde.
28. Juni, Tag 1 nach Gregors Festnahme
Ich hatte nachts mehrfach nach Gregor geschaut, aber es war ziemlich langweilig, ihm dabei zuzusehen, wie er sich auf seiner Pritsche hin- und herdrehte, mal kurz einschlief und dann wieder wach lag und in die Dunkelheit starrte. Nie hatte ich mir mehr gewünscht, Gregors Gedanken lesen zu können, als in diesen Stunden. Aber leider: nach wie vor Fehlanzeige. Und für Selbstgespräche war Gregor einfach nicht der Typ.
Da hätte ich in anderen Zellen mehr Glück gehabt, wenn mich die Verbalergüsse von Gregors Knastkollegen interessiert hätten. Manche hielten ganze Plädoyers darüber, warum sie dem kleinen Rentner die betrügerische Investition geraten hatten, warum sie den Ast vom Obstbaum genau in dem Moment abgesägt hatten, als der Nachbar auf seiner Liege darunter eingeschlafen war, oder wieso sie ein Opfer ihrer Jugend, der Umstände oder der FDP waren und daher nicht für die Steuerhinterziehung, den Totschlag oder die Vergewaltigung verantwortlich gemacht werden können. Wenn diese Typen schon nachts so viel sabbelten, wollte ich lieber gar nicht wissen, was tagsüber hier los war.
Neben dem Gelaber, das durch die geschlossenen Zellentüren zum Glück eher privat blieb, störte mich vor allem eins an diesem Luxusknast: der Gestank. Obwohl die Hütte noch ziemlich neu war, drang der Mief von Schweiß, Dampfgemüse und Desinfektionsmittel bereits aus jeder Mauerfuge. Zwischendurch waberten Wolken von Pomade, stinkenden Socken und fauligen Fürzen durch die Nacht. Ich war nie besonders zimperlich gewesen, aber der Cocktail in dieser Bude war selbst mir zuwider. Vermutlich, weil alles fehlte, was für mich zu einer gemütlichen Umgebung dazugehörte: Zigarettenrauch, Bierdunst und Schmieröl. Alternativ Pommesfett und Currywurstaroma.Hier jedenfalls bedauerte ich mal wieder, dass ich weder Sehdeckel noch Horchklappen noch Nüsternstopfen hatte. Ich schaltete mich raus und gönnte meinen angeschlagenen Sinnen Erholung in einer illegalen Lackiererei, die geklauten Karren ein neues Outfit verpasste.
Nach einer Stunde war ich einigermaßen wiederhergestellt. Es konnte weitergehen, allerdings bieten die Nächte meist wenig Möglichkeiten, Gespräche zu belauschen oder Leute zu beobachten, daher erledigte ich ein bisschen Denkarbeit.
Wir hatten ein Opfer. Gut. Und einen Verdächtigen. Schlecht, weil ich davon ausging, dass der Verdächtige nicht der Täter war. Ich brauchte also einen anderen Verdächtigen. Leider haperte es ganz entschieden daran, dass ich nichts über das Opfer wusste. Das würde ich ändern müssen – aber erst wollte ich wissen, warum zum Teufel eigentlich Gregor so dringend verdächtigt wurde. Vielleicht wusste Martin mehr, als er bisher zugegeben hatte. Ich düste also nach Hause.
Natürlich habe ich eigentlich kein Zuhause – weil ich keins brauche. Als mein Körper noch im Institut für Rechtsmedizin lag, betrachtete ich das Kühlfach mit der Nummer vier eine Zeit lang als mein Zuhause, aber dann lag eines Tages eine unansehnliche Hackfleischleiche drin und meine eigene, von Martins Naht verunzierte körperliche Hülle wurde beerdigt. Spätestens seit dem Tag gab es keinen Ort mehr, an den ich gehörte. Es sei denn den Ort, an dem der einzige Mensch lebt, mit dem ich mich unterhalten kann. Ich hatte also zuerst in Martins Junggesellenbude mit ihm gehaust und lebte jetzt in der schönen Altbauwohnung, die Birgit ausgesucht hatte, mit den beiden werdenden Eltern zusammen. Ursprünglich war die Wohnung ganz okay gewesen, denn wenigstensBirgit hat einen einigermaßen normalen Geschmack, was die Wohnungseinrichtung angeht.
Inzwischen aber gab es DAS ZIMMER. Dabei handelte es sich um das Kinderzimmer, das bereits vollständig renoviert und kinderfreundlich eingerichtet war. Mit gestreiften Tapeten in kinderfreundlichem Hellgelbrosablau,
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