Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Jahrhundert, als ich ihm mitteilte, dass jetzt Schluss mit Stadtplansurfen war.
»Ich wüsste nicht, wieso«, murmelte er ganz in Gedanken.
»Weil wir zwei jetzt eine Kneipentour im Belgischen Viertel machen.«
»Keinesfalls.«
»Wir besuchen den Freund von Gregors Ex. Er hat eine Kneipe. Der Mann ist ein Verdächtiger«, erklärte ich ihm.
»Die Kripo Düsseldorf …«, begann er, aber ich musste nicht weiter zuhören, um zu wissen, dass er Schwachsinn sabbelte.
»Die Kripo Düsseldorf ist sicher, ihren Täter zu haben, und Gregor tut nichts, um sie auf andere Gedanken zu bringen«, rief ich Martin in Erinnerung. »Außerdem mischenwir uns nicht in eine Ermittlung ein, sondern wir gehen einfach nur etwas trinken. Wie zwei gute Kumpels das so tun.«
Martin schickte mir eine ziemlich unfreundliche Gemütswolke zum Thema »Zwei gute Kumpel«, die ich heldenhaft ignorierte. Er wandte sich wieder seinem Stadtplan zu.
»Schluss mit dem Straßenalphabet, schwing die Hufe!«, rief ich dazwischen.
»Ich bleibe bei Birgit.«
Ich schaltete mich ins Schlafzimmer, wo Birgit selig poofte.
»Die braucht dich nicht.«
»Aber wenn sie aufwacht …«
»Wird sie ihren sechzehnjährigen Babysitter verführen, den Kühlschrank leer futtern und einen Horrorfilm in der Glotze gucken«, sagte ich.
Martin stutzte.
»Siehst du«, feixte ich. »Lächerliche Vorstellung, oder? Birgit ist nämlich kein Baby mehr, sie hat keinen Babysitter und sie glotzt auch nicht freiwillig Horrorfilme.«
Jedenfalls nicht, wenn Martin dabei war.
»Wenn sie aufwacht und deine Abwesenheit überhaupt registriert, wird sie dich an einem Tatort vermuten.«
»Ich bin müde und ich möchte mich nach wie vor nicht in die Ermittlung einmischen«, sagte Martin, aber sein Widerstand erlahmte.
»Du kannst mit mir kommen, sonst komme ich mit dir.«
Diese Drohung wirkte fast immer, so auch dieses Mal. Sie bezog sich auf das Elektrosmogschutznetz, das Martin über dem Bett aufgespannt hat. Wenn das Netz geschlossen ist, komme ich nicht hinein, kann Martin also nachts nicht stören. Wenn ich allerdings mit ihm unter das Netzschlüpfe, komme ich nicht wieder hinaus. Wir hatten einige dieser mentalen Weitpinkelwettbewerbe hinter uns und Martin hatte keine Lust, eine weitere Nacht mit mir unter dem Schutznetz zu verbringen. Ich habe es nämlich echt drauf, jedes Mal die Sekunde abzupassen, in der er in den Schlaf hinübergleitet. In dem Moment fällt seine geistige Schutzmauer in sich zusammen und ich komme ungehindert und in voller Kraft und Schönheit in sein Hirn durch. Eine Sirenenimitation, ein laut gebrülltes »Feuer!« oder ähnliche Äußerungen sind durchaus geeignet, seinen Puls nach oben zu treiben. Da ich nicht müde werde und selbst nicht pennen muss, kann ich dieses Spiel die ganze Nacht treiben. Oder auch zwei. Oder drei.
»Was muss ich anziehen?« Die Frage klang bereits nach vollständiger Kapitulation und ich hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.
»Du darfst gehen, wie du magst.«
Zum Glück würde mich ja niemand mit dem Oberpeinologen sehen.
Martin zog sich nicht um, daher war er an diesem Abend mit ziemlicher Sicherheit der einzige Mensch im sommerlichen Köln, der zur Kneipentour eine Wollhose mit Bügelfalte, ein geripptes Unterhemd aus ungebleichter, ungefärbter Biobaumwolle und ein gestreiftes Hemd, ebenfalls aus Biobaumwolle, trug, das normale Menschen allerhöchstens zur Taufe ihrer Nichten oder Neffen überstreifen würden. Wir kamen gegen zehn im Belgischen Viertel an, und natürlich war das Leben noch in vollem Gange. Es war die Zeit der lauen Sommernächte und die Leute trugen Jeans, Chinos oder Leinenhosen, jedenfalls keine Wolle und keine Bügelfalten. Und sie lebten ein Leben, das diesen Namen verdient hatte. Nicht wie Martin, der morgens in sein Schlachthaus und abends nach Hausepudelte, dann Gemüsebrei schlürfte, Stadtpläne ordnete oder Straßennamen alphabetisierte und möglichst früh ins Bett ging, um auch nur ja genügend Schlaf zu bekommen. Unter acht Stunden pro Nacht ging bei ihm gar nichts.
»Welche Kneipe?«, fragte Martin.
»Keine Ahnung. Der Wirt ist Grieche und heißt irgendwas mit Agathe.«
Martin gähnte.
»Na los, rein in die erste Kneipe und dann weiterfragen.«
Martin trank ein stilles Mineralwasser ohne Eis und ohne Zitrone und erfuhr, dass die Kneipe des Griechen nicht in dieser Straße war, aber vielleicht in der Parallelstraße. Wir benötigten zwei weitere Anläufe, bis wir Die
Weitere Kostenlose Bücher