Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Heim. Vielleicht hatte er selbst gewisse Vorgänge als verdächtig erkannt und seine Tochter darauf angesetzt. Oder er wusste wenigstens, hinter welcher Story seine Tochter her war. Aber mittlerweile ähnelte seine Denkschüssel kaum noch einem vernünftigen Bullenhirn. Daher schickte ich Birgit lieber auf die Spur von Paulina. Ich wusste doch, dass Tratsch über eine Kollegin, selbst wenn diese schon tot war, unter Arbeitskolleginnen zum guten Ton gehörte. Also setzte ich Birgit auf die Damen in Weiß an. Das war die Pflicht. Als Kür könnte sie dann noch versuchen, Hans Hauschild einen klaren Gedanken zu entlocken.
Wieder fuhr ich bei Birgit in ihrem grauen BMW Cabrio mit den roten Ledersitzen mit. Die Karre stammte aus den Achtzigern, als Autos noch kantige Formen hatten und ohne ein Informatikstudium zu knacken waren. Das Ding war kein Hochglanz-Oldtimer, sondern ein Gebrauchsgegenstand, dem man sein Alter ansah. Aber die Schleuder war gut gepflegt und in technisch ordentlichem Zustand. Daran hatte ich einen nicht unerheblichen Anteil, denn wenn es das geringste Problem gab, hatte ich ziemlich schnell heraus, wo genau die Ursache lag.
Die Werkstatt, die ich Martin für Birgits Karre empfohlen hatte, war natürlich nicht seriös. Schon klar, oder? Autowerkstätten sind das Gegenteil von seriös, das liegt inder Natur der Sache. Aber wenn man denen ein Auto wie das 3er Cabrio von Birgit auf den Hof stellt und sowohl das Problem als auch die Ursache korrekt beschreiben kann, kapiert auch der dämlichste Autoschrauber, dass er diesen Kunden besser nicht bescheißt. Selbst wenn der Kunde aussieht wie Martin. Die wahre Meisterleistung lag darin, Martin die korrekten Worte in den Mund zu legen, denn er hatte so absolut überhaupt keine Ahnung von Autos. Das haute mich jedes Mal wieder aus den Schuhen. Immerhin hatte er kapiert, dass Räder rollen, weil sie rund sind. Damit war die gesamte Bandbreite seines technischen Verständnisses ausgelotet.
Durch meine aktive Mithilfe wurden also an Birgits Auto nie die voll funktionsfähigen Scheibenwischerblätter ausgetauscht, die dann, zwecks Vermeidung von unnötigem Müll, wenige Minuten später die Scheibe des Schraubers säuberten. Auch blieben ihre Bremsen so lang unangetastet, bis sie wirklich runter waren, und die Inspektionen endeten nicht in einer langen Liste von Ersatzteilen, die zwar eingebaut worden waren – aber natürlich nicht in Birgits Wagen, sondern in den des Meisters, seiner Frau, seines Neffen oder seines Betthäschens. Kurz gesagt: Ich sorgte dafür, dass Birgits Karre gut lief und sie nicht über den Tisch gezogen wurde. Schade nur, dass sie nie etwas davon erfahren würde.
Birgit parkte den Wagen mit offenem Verdeck vor dem Eingang der Kauzkaserne und watschelte in die Halle. Sie rannte fast die Platinblonde über den Haufen.
Schon wieder lief diese Tussi am frühen Morgen hier herum. Hatte die sich in dem Schuppen mit der senilen Bettenflucht angesteckt? Das wollte ich bei Gelegenheit mal genauer abchecken. Zunächst aber folgte ich Birgit zur Tür des Pausenraums der Weißkittelfraktion.
»Entschuldigung, ich wollte Paulinas Sachen abholen.«
Die drei anwesenden Persilschwestern starrten Birgit an, als hätte sie gefragt, wo es hier zum Kreißsaal ginge.
Birgit, das muss man ihr lassen, kann Schweigen ertragen. Sie wartete einfach auf eine Antwort, obwohl es eine ganze Weile lang nicht so aussah, als käme eine. Die drei glotzten ziellos mal hierhin und mal dahin, aber schließlich blieben alle Blicke auf der dünnen Bohnenstange rechts außen hängen.
»Die Polizei hat ihre Sachen aus dem Spind mitgenommen.«
»Oh!«
Birgit schaffte es, Überraschung, Enttäuschung und abgrundtiefe Trauer in dieses eine Wort zu legen. Und sie schaffte es, danach die Quatschklappe wieder zu versiegeln.
»Wer sind Sie denn?«, fragte die Bohnenstange. Sie war mindestens sechzig, trug eine hässliche Brille und kurze Haare und sah aus, als habe sie ihr ganzes Leben lang nur Körner und Möhren gefressen.
»Ihre Freundin. Ich habe angeboten …«
»Übernehmen Sie auch ihre Schulden?«, mischte sich die dicke Blonde in der Mitte ein. Das Blond war falsch, die Wimpern waren noch viel falscher, nur die Zähne waren echt. Leider. Hier hätte ich mir gewünscht, sie hätte in falsche investiert. Ein Wald im Sauerland nach Orkan Kyrill war nichts gegen die Unordnung in ihrer Futterhöhle.
»Oder sind wir mal wieder die Dummen?« Ihre Stimme passte zum
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