Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
»Nein! Jetzt nicht!«, dachte er äußerst energisch in meineRichtung. »Im Moment interessiert mich nur Birgit.« Dann machte er alle Schotten dicht.
Na, super! Trotzdem blieb ich noch eine ganze Weile im Krankenhaus, litt mit Birgit mit und versuchte, den Oberpeinologen Martin auszublenden, was schlecht ging, da er ständig mit einem Lappen an Birgits Stirn herumpolierte wie ein Oldtimerfahrer an der Stoßstange oder ihr Wasser brachte oder ihre Hand patschte oder sonst wie an ihr herumgriffelte. Birgit ließ sich das alles gefallen, sie lächelte Martin an und flüsterte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Auch die Hebamme kümmerte sich mehr um Martin als um Birgit, aber es half alles nichts. Martins Nerven flatterten wie die Wimpelchen am Staatsbenz. Ich konnte das Elend nicht länger ertragen und machte mich vom Platz.
Ich drehte eine Runde durch das leere Büro der Kripo Köln und schaltete mich dann nach Düsseldorf zu einem Besuch im Knast. Aber auch hier wieder nix Neues. Bei der Soko in Düsseldorf fand ich immerhin Keller und Lili Leuchtfee. Die beiden waren in feministische Streitigkeiten verwickelt, die mit dem Mord an Sahne nichts zu tun hatten. Ich hörte eine Zeit lang zu, wie die rotgelockte Emanze Keller zutextete, während er gemütlich auf einem Brötchen herumkaute, dessen Remouladensauce erwartungsgemäß auf das Hemd tropfte. Neue Informationen über den Mord oder die Suche nach dem Täter bekam ich aber nicht.
Im Café des Altenheims war die Platine auch heute wieder damit beschäftigt, den Tausendjährigen und ihren Besuchern Kaffee, Tee und Kuchen zu bringen. Sie wuselte hin und her, wischte Tische ab und setzte sich auch mal zu denen, die keinen Besuch bekamen und allein am Tisch saßen. Ich nahm mir vor, heute Abend noch einmal vorbeizuschauen,um zu sehen, wann sie den Siechentempel verließ und ob sie wenigstens abends Spaß hatte. In eine Hüpfburg ging oder ins Kino oder irgendetwas von dem tat, was normale Menschlein in ihrem Alter eben so taten. Kiffen, zipfeln, Autos klauen.
ACHTZEHN
Gegen sieben Uhr ging es Birgit besser, aber das Kind wollte offenbar noch nicht auf die Welt kommen.
»Wir behalten Ihre Frau diese Nacht zur Beobachtung hier. Gehen Sie nach Hause und kommen Sie morgen früh wieder«, riet der Arzt Martin. »Wenn sich bis dahin nichts getan hat, können Sie sie sicher wieder mit nach Hause nehmen.«
Hier wurde also erst mal gechillt. Von mir aus, aber da musste ich nun wirklich nicht dabei sein. Also schaute ich wieder im Heim vorbei. Die Platine schleppte immer noch Geschirr. Komische Tante. Wieder fiel mir auf, dass sie bei allem, was sie tat, nur mit dem Mund lächelte, nicht mit den Augen. Warum auch immer sie hier war, eine ausgeprägte Liebe zu Graugänsen war sicher nicht der Grund.
Ich schimmelte unter der Deckenlampe herum und beobachtete den Aufbruch der Besucher, die Aufräumarbeiten im Café und das letzte Abwischen aller Tische. Dann verabschiedeten sich die beiden toupierten Krümelmonster und verschwanden. Die Platine blieb allein zurück.
Sie stand eine Weile an einer Säule in der Halle herum und blickte nach allen Seiten, als warte sie auf jemanden. Plötzlich löste sie sich von der Säule und ging zum Treppenhaus. Sie lief die Treppe hinunter, blickte vorsichtig in denlangen Flur, an dem der Pausenraum lag, in dem Birgit mit den drei Kolleginnen von Paulina geplaudert hatte, und huschte schnell daran vorbei. Die letzte Tür auf der rechten Seite war ihr Ziel. Sie fummelte einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche, schloss die Tür auf und schlüpfte hinein.
Ich schaltete mich durch die Tür und traute meinen Augen nicht. Offenbar war dieser Raum die Rumpelkammer des Heims. Bettgestelle, Infusionsständer, Tische, Stühle, Raumteiler, ein defekter Servierwagen und lauter Kleinkram standen hier herum. In der hintersten Ecke, hinter einem Raumteiler und zwei Regalen, lag eine Luftmatratze auf dem Boden mit einem Schlafsack und einer Sporttasche drauf. Die Platine fegte die Tasche zur Seite und ließ sich auf die Luftmatratze fallen. Wenige Minuten später war sie eingeschlafen.
Was sollte ich denn davon halten? Kinderarbeit in einem deutschen Altenheim schloss ich aus. Arbeit gegen Kost und Logis ebenfalls. Blieb im Grunde nur eine Erklärung: Die Platine war eine Ausreißerin, die sich im Altenheim versteckte.
Auf die Idee musste man erst mal kommen.
Sie war zwar eine Tussi, aber gar nicht doof.
Was macht man
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