Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
pudelte mit schlurfenden Gummisohlen über die Türschwelle. Ich schaltete mich halb die Treppe herunter. Von unten drang ein sanftes, blaues Licht zu mir herauf. Es war kühl. Ein gleichmäßiges Summen erfüllte die Luft. Vorsichtig schwebte ich tiefer. Das Licht wurde intensiver, der Summton lauter. Noch wenige Stufen trennten mich von einer freien Sicht in den Raum.
Über mir entstand plötzlich ein Luftstrom, der mich mit Macht in den Keller zog. Hilfe! Ich war entdeckt, wurdeeingesaugt und dann vermutlich mit Mikrowellen getoastet, bis ich keine Gefahr mehr darstellte … Ich wurde panisch, ruderte zurück, kümmerte mich nicht mehr darum, was ich dort unten hätte entdecken können, sondern war einzig und allein auf Flucht gepolt. Die Stufen hinauf, gegen den Luftstrom, der durch das enge Treppenhaus düste. Die Tür kam in Sicht, sie schloss sich langsam hinter dem Pudeltyp. Ich verdoppelte meine Anstrengungen in diesem Luftkanal, denn auch wenn es sich bei der Düse um einen simplen physikalischen Effekt handelte und keine hinterhältige Geisterfalle, so war die Situation doch für mich trotzdem gefährlich.
Im letzten Augenblick schaffte ich es wieder in den ungesicherten Nachtclubbereich. Das Würstchen unter mir nahm den Hinterausgang des Erdgeschosses, der hinter einer Batterie Müllcontainer in die Nebenstraße führte. Ich hatte Karpis Geheimnis immer noch nicht gelüftet, aber auch keinen Bock mehr, auf die nächste Türöffnung zu warten. Yuri war jetzt dringender.
Martin und Birgit quälten sich durch das Verkehrsgewühl der verstopften Straßen, ich war in weniger als zwei Sekunden bei der angegebenen Adresse. Das Haus hatte fast hundert Wohnungen und die Anordnung der Klingelschilder verriet nicht, in welcher Etage sich die jeweilige Bude befand, weshalb es eine ganze Weile dauerte, bis ich Yuri gefunden hatte. Genauer gesagt bis ich die Wohnung gefunden hatte, von der ich annahm, dass es Yuris war. Das schloss ich aus der Tatsache, dass Till Krämpel, der Pillenportionierer aus dem Altenheim, gefesselt und geknebelt auf dem Bett lag. Sonst war niemand da.
Die Wohnung bestand nur aus einem Zimmer, einer Küche in der Dimension eines Wandschranks und einem winzigen Bad. Außer dem Bett standen ein riesigerSchreibtisch, ein Sessel und ein Kleiderschrank im Zimmer. An einer Wand hing ein Flatscreen. Es waren keine teuren Möbel und auch nur eine kleine Glotze, aber nichts davon war gammelig. Das Regal neben dem Schreibtisch war bis in den letzten Winkel vollgepackt mit medizinischen Fachbüchern. An einer Wand hing eine Urkunde, die bewies, dass Gernot sein Medizinstudium erfolgreich beendet hatte. Alle anderen Wände hingen voller Fotos, einfach mit Heftzwecken an die Raufaser gepinnt. Alle zeigten Paulina. Nur ein einziges Foto zeigte Paulina mit Yuri zusammen. Yuri hatte es selbst gemacht, mit seinem Handy am langen Arm, entsprechend war die Qualität: ein typisches Smartiepic, viel zu nah dran, die Perspektive verschoben, die Nasen zu groß, die Ohren zu weit hinten. Das störte die Verliebten meist nicht, war aber blöd für mich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich den Typen wiedererkennen würde, wenn ich ihm auf der Straße begegnete.
Ich fand keinen Hinweis, wo Yuri stecken konnte.
Krämpel röchelte vor sich hin, offenbar war seine Nase verstopft. Immerhin lebte er. Fraglich war, wie lange noch.
Ich beschloss, auf Yuri zu warten, und beschäftigte mich währenddessen mit den Titeln der Bücher in seinem Regal. Innere Medizin, Angiologie, Kardiologie, Naturheilverfahren, Die Pharmazeutische Lüge, Notfallmedizin … Wenn der Typ das alles wusste, was da drin stand, konnte er bald Professor werden. Aber wenn er es wüsste, würden die Bücher hier vermutlich nicht mehr stehen. Wenn ich hätte wetten sollen, hätte ich gesagt: Yuri war auf dem besten Weg vom Arzt zum Facharzt.
Ich traf Martin und Birgit vor der Tür des Hauses, in dem Yuri wohnte. Auch sie standen ratlos vor den Klingelschildern, von denen viele mit den Nummern des Apartments,manche mit Vornamen und viele gar nicht beschriftet waren.
»Yuri ist nicht da«, verkündete ich Martin.
Er ließ die Hand, die an den Klingelschildern entlanggefahren war, sinken.
»Aber dafür liegt Krämpel gefesselt und geknebelt in seiner Wohnung.«
»Krämpel?«, fragte Martin erschrocken zurück, als hätte er schlecht verstanden, dabei nuschle ich nicht, wenn ich gedanklich kommuniziere.
»Ja, Krämpel, der Hausapotheker aus dem
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