Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
hätte. Martin blieb äußerlich ruhig, verdrehte aber bei der Erwähnung der Krimis innerlich die Augen.
»Mir sind also folgende Szenarien in den Sinn gekommen.«
Martins Vitaminmatsch und das nächste Bier wurden geliefert, und während das Bier innerhalb von Sekunden halb leer war, mümmelte Martin hingebungsvoll an seinem Grünzeug.
»Erstens: Todesengel. Halte ich in diesem Fall aber für unwahrscheinlich. Die Leutchen waren einfach nicht krank genug. Todesengel erlösen meist die wirklich schweren Fälle. Aber man weiß es nicht. Vielleicht warendiese Patienten nörgelig und wurden deshalb … du weißt schon.« Steinhauer fuhr sich mit dem Finger über die Gurgel.
Martin blickte gequält.
»Zweite Möglichkeit: Arzneimittelfälschung.«
»Arzneimittelfälschung?«, fragte Martin überrascht. »Meinst du von solchen Medikamenten?« Er deutete auf den Zettel mit den drei Basismitteln.
Steinhauer nickte.
»Ich dachte, das betrifft nur diese Potenzpillen aus dem Internet …«
»Erinnerst du dich nicht an den Heparin-Skandal?« Der Doc ließ einen mühsam unterdrückten Rülpser los. Martin erschauderte. »Zweitausendacht muss das gewesen sein. Da hatte der Hersteller billige Rohstoffe aus China gekauft, die nicht ordnungsgemäß überwacht worden waren. Aufgeflogen ist das, wenn ich mich recht erinnere, in Dialysezentren, da stehen die Patienten unter ständiger Überwachung. Aber die Mittel, über die wir hier reden, sind Allerweltsmittel, die jeder Arzt fünfzigmal am Tag verschreibt. Dann kommt vielleicht mal ein Patient und berichtet, dass er dieses Mittel nicht verträgt, und man verschreibt ein anderes, also ausdrücklich ein Medikament und nicht nur den Wirkstoff. Aber wie viele Patienten sind seit Jahren die stetigen Verschlechterungen ihres Zustands gewöhnt und beklagen sich gar nicht mehr?« Er klang plötzlich nicht mehr selbstgefällig, sondern eher deprimiert.
»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Martin nachdenklich. »Aber wie wahrscheinlich ist es denn, dass gerade diese billigen Medikamente gefälscht werden?«
»Du denkst bei dem Wort Fälschung immer noch in die falsche Richtung«, sagte Steinhauer. »Die teuren Mittel werden von irgendwelchen Panschern gefälscht und meistim Internet verkauft, weil man damit viel Geld verdienen kann. Die billigen Mittel hingegen werden von den etablierten Herstellern aus den billigsten Rohstoffen zusammengemischt oder auch bei abgelaufenem Haltbarkeitsdatum verkauft, um den Kostendruck abzufedern. Und je mehr Kostendruck auf alle Beteiligten des Gesundheitssystems ausgeübt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Fälle häufen.«
»Aber das muss doch kontrolliert werden …«, stammelte Martin.
»Bei den Mengen an Rohstoffen aus Billiglohnländern, den undurchsichtigen Handelswegen zwischen Hersteller und Apotheke, bei den Großhändlern, Zwischenhändlern, EU-Importen und dem Internethandel sind unsere Überwachungsorgane völlig überfordert. Wer soll das alles kontrollieren und wer bezahlt diese Kontrollen?«
Nach einem Blick zur Uhr erhob sich Steinhauer leicht schwankend.
»Könntest du mir noch die Herstellerfirmen von diesen Medikamenten hier aufschreiben?«, bat Martin.
Beim Namen Weiz Pharma, den Steinhauer hinter das erste Mittel schrieb, zuckte ich zusammen. MelinaMed sagte mir nichts. Ein Weiz, zwei Melinas. Ich war gespannt, wie Martin in dieser Sache weiter vorgehen würde, denn dass er Herrn Weiz in seinem Glaspalast besuchen würde, hielt ich für ausgeschlossen.
Mir schwirrte die Birne, daher schloss ich mich in meinem Schrank ein und arbeitete die Nacht durch. Ich schrieb alles auf, was ich sicher wusste, erstellte dann eine ganze Reihe von Fragen und eine To-do-Liste mit den nächsten Schritten.
Die wichtigsten Fragen markierte ich rot:
Wusste Sahne von Karpis Hackerhöhle?
Hatte der Mord an Sahne mit dem Fall Paulina/Krämpel zu tun?
Waren die Gruftis im Heim gar nicht umgebracht worden, sondern an gepanschten Arzneimitteln gestorben?
Wenn dem so war, warum war dann Paulina Pleve ermordet worden? Oder war es doch ein Selbstmord? Aber was wollte dann Yuri von Krämpel?
Als die Sonne aufging, war ich verwirrter als je zuvor.
SECHSUNDZWANZIG
8. Juli, Tag 11 nach Gregors Festnahme
Es wurde Zeit, dass wir ein paar Antworten bekamen. Natürlich würde Martin mir mit diversen Fragen helfen müssen, aber in einem Fall war Birgit die Assistentin der Wahl: Den Draht zum hackenden Enkel
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