Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
heimlich die Wimpern.
Eines Tages, als sie gerade unter der Dusche stand und das warme Wasser ein bisschen länger als nötig an sich runterlaufen ließ, spürte sie plötzlich, dass jemand da war. Dass ihr jemand zusah, ganz genau hinsah. Sie machte die Augen auf.
In der Tür zur Mädchendusche stand der Bademeister. Er stand da, und er sah sie an, als würde sie ihm gehören.
Sie wollte ihm sagen, dass er weggehen soll, aber sie brachte kein Wort raus. Sie griff schnell nach ihrem Handtuch und hielt es vor ihren Körper.
Hör mal, du, sagte der Bademeister. Nicht immer so lange duschen, ja?
Der Tschabo
S ie ist vor zwei Wochen achtzehn Jahre alt geworden. Als wir sie aus dem Hinterhofpuff in der Großen Freiheit geholt hatten, war sie ein Bündel aus Angst, zu engen Klamotten, bunten Stiefeln, billiger Schminke und schlecht verheilten Platzwunden. Jetzt ist die Schminke weg, sie trägt Jeans und Turnschuhe und ein blaues T-Shirt mit weißen Blumen. Sie ist wieder ein junges Mädchen. Und so wirkt das, was sie erzählt, noch viel brutaler, viel gemeiner, als es eh schon ist.
Sie war sechzehn, als die Typen sie von zu Hause weglockten, ihr einen vom Pferd erzählten, vom goldenen Westen, von den Unsummen, die sie dort verdienen könnte. Schon als Kellnerin oder Tänzerin wäre man nach zwei Jahren reich. Es wäre dann überhaupt kein Problem für sie, sagten sie, ihre Familie in Rumänien zu ernähren. Und, man weiß es ja nicht, aber so wie sie aussähe, wäre vielleicht eine Modelkarriere drin.
Sie sagt heute, sie war dumm. Sie sei doch viel zu klein für ein Model. Ich glaube nicht, dass sie dumm war. Sie war nur jung, und zu Hause gab’s keinen Vater, dafür aber eine saufende Mutter, drei kleine Brüder und eine halbtote Oma. In Hamburg gab’s dann erst mal Schläge und Dauervergewaltigung. Zwei Wochen lang wurde sie zurechtgeritten. Danach wollte sie nicht mehr leben, sagt sie. Danach machte sie alles. Es war ihr egal. Das Gefühl für Körper und Seele und Gerechtigkeit war weg. Sie schaffte im Schnitt zehn Freier pro Tag, von dem Geld sah sie keinen Pfennig. Sie schlief und lebte in dem Kabuff, in dem auch die Freier zu ihr kamen, draußen war sie in den zwei Jahren ihrer Gefangenschaft nur viermal, unter Aufsicht. Sie wusste nicht, dass sie da hätte um Hilfe schreien können. Die Männer hatten ihr gesagt, in Deutschland würden Frauen, die als Prostituierte arbeiten, in Lager gesteckt.
Während sie erzählt, klingt ihre Stimme, als würde sie gar nicht von sich erzählen. Als wäre all das einer anderen passiert.
Ich glaube, das ist sehr vernünftig.
*
Es sticht ein bisschen in der Herzgegend, als ich Klatsche sehe. Aber es überrascht mich nicht, dass er hier ist. Ich hatte damit gerechnet, dass er bei Carla rumhängt.
»Hey, Baby«, sagt er und nimmt meine Hand.
»Nenn mich nicht Baby«, sage ich und ziehe meine Hand weg.
Er zieht die Augenbrauen hoch und sagt:
»Was ist denn jetzt los? Zurück auf Anfang?«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Carla kommt aus der Küche und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
»Hey«, sagt sie. »Warum biste denn gestern nicht mehr zu uns an den Strand gekommen?«
Ich weiß schon wieder nicht, was ich sagen soll. Wäre ich bloß hier weggeblieben. Man kann ja auch einfach mal woanders seine verdammte Mittagspause verbringen. Carla sieht mich einen Tick länger an als üblich. Ich glaube, sie hat gerade gemerkt, was hier los ist.
»Wir reden später, okay?«, sagt sie und legt mir die Hand auf die Wange.
»Okay«, sage ich.
»Willst du was essen?«, fragt sie.
Es ist viel los, das Café ist gerammelt voll. Ich hab Hunger. Aber ich will nicht nerven.
»Kann ich in die Küche gehen und mir was machen?«, frage ich.
»Klar«, sagt sie und lächelt mich an, warm und weich und so, wie Carla eben lächelt, wie sie immer gelächelt hat, bevor diese Scheiße passiert ist.
Ich mache mich auf den Weg in die Küche. Klatsche hebt die Hände und schüttelt den Kopf. Dann rutscht er von seinem Barhocker und geht mir nach.
»Was ist los?«, fragt er.
Ich antworte nicht und mache den Kühlschrank auf. In der Tür steht eine offene Flasche Weißwein. Ich hole sie raus, nehme mir ein Glas, gieße es ordentlich voll und nehme einen Schluck. Klatsche packt mich am Unterarm.
»Was ist los mit dir, Chastity Riley?«
Ich würde gerne sagen, dass ich nicht genau weiß, was los ist, aber dass es weh tut, ihn zu sehen, und dass es genauso weh tut, ihn nicht zu
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