Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Stiel. Betty Kirschtein blättert in einer Zeitung.
»So«, sagt der Hollerieth noch mal.
»Ja«, sagt der Calabretta, »wie sieht’s denn aus? Haben wir was?«
»Nicht viel«, sagt der Hollerieth. »Keine Papiere, keine Kreditkarten. Nur ein bisschen Bargeld.«
»So weit waren wir auch schon«, brummt der Brückner. Der Hollerieth ist sofort beleidigt, klappt seine Akte zu und schaut aus dem Fenster. Der Calabretta wirft dem Brückner einen flehenden Blick zu.
»’tschuldigung«, sagt der Brückner.
Der Hollerieth verzieht die Mundwinkel und schenkt noch einen Moment dem Fenster seine Aufmerksamkeit, dann wendet er sich uns wieder zu.
»Er lag da noch nicht lange drin«, sagt er.
»Hatten die Krebse noch nicht angebissen?«, fragt der Calabretta.
»Keine Krebse auf der Leiche«, sagt der Hollerieth. »Und auch sonst ist der Mann ziemlich unversehrt. Ich könnte mir vorstellen, dass er gestern Abend noch am Leben war. Was meinen Sie, Frau Kirschtein?«
»Bingo«, sagt sie. »Todeszeitpunkt war so zwischen Mitternacht und zwei Uhr. Die Leiche lag maximal vier, fünf Stunden im Wasser.«
»Wie ist er gestorben?«, frage ich.
»Genau wie die beiden Jungs, von denen wir nur ein paar Stücke haben«, sagt sie. »Gezielter Schlag oder Tritt unters Nasenbein, rein ins Hirn damit und ab dafür.«
»Wir haben es also vermutlich mit dem gleichen Täter zu tun?«, fragt der Calabretta.
»Das wäre dann ja Ihr Job, sich das zu überlegen«, sagt sie.
Der Calabretta zuckt minimal zusammen. Außer mir hat das niemand bemerkt. Aber er hat gezuckt.
Mensch, Betty.
»Herr Borger?«, frage ich.
Er hat sein Eis aufgegessen und kaut auf dem Holzstiel rum.
»Wenn es sich hier um ein und denselben Täter handelt«, sagt Herr Borger, »dann wird der gerade entweder unvorsichtig oder nervös.«
»Worauf tippen Sie?«, frage ich.
»Nervös«, sagt er. »Wir hatten ja keine Pressesperre verhängt. Die beiden ersten Funde sind die letzten Tage rauf und runter genudelt worden. Und weil die Pakete so gründlich und sauber gepackt worden sind, glaube ich nicht, dass der Täter ohne Grund nachlässig wird. Für mich hört sich das so an, als wäre da jemand ziemlich überrascht, dass die Leichenteile gefunden wurden. Die sollten für immer verschwinden. Weil das nicht geklappt hat, ist jetzt plötzlich Hektik ausgebrochen. Und da wurde die Leiche eben ohne große Fisimatenten ins Wasser geschmissen, gleich hinter der ersten Brücke im Freihafen. Wenn sich das Zerschneiden und Verpacken und Verschwindenlassen eh nicht mehr lohnt …«
Er legt den Holzstiel weg und nimmt seine Brille ab.
»Wieso mussten die Männer sterben?«, frage ich. »Haben Sie irgendeine Idee, warum unser Täter mordet? Die Schlagzahl ist ja ganz amtlich.«
»Ich habe keine Ahnung«, sagt er. »Ich glaube aber, dass das Töten und das Zerstückeln nichts miteinander zu tun haben. Das passt nicht zusammen, die Art, wie die Männer sterben, und das, was mit den ersten beiden gemacht wurde. Das Töten scheint mir affektiv zu laufen, körperlich, schnell, wie in einem kurzen, heftigen Zweikampf. Und die Überreste der Leichen sind dann plötzlich so clean, da wird mit Maschinen gearbeitet, sachlich und routiniert. Ich lehne mich jetzt ein bisschen aus dem Fenster, aber ich behaupte mal: Wir haben es mit zwei Tätern zu tun. Die sind sehr unterschiedlich, aber irgendwas verbindet sie auch.«
Ich muss an die Streifenpolizistin denken, die auch so was in der Art gesagt hat. Cleveres Mädchen.
»Männerhass?«, fragt der Hollerieth und macht dabei ein Gesicht, als hätte er gerade einen heißen Einlauf bekommen.
Betty Kirschtein verdreht die Augen.
»So weit würde ich nicht gehen«, sagt Herr Borger. »Dann hätten wir schwer misshandelte Opfer in der Pathologie liegen. Bei Hass wird ja immer gequält. Unsere Toten wurden kurz und schmerzlos zur Strecke gebracht. Aber trotzdem geht es natürlich offenkundig gegen Männer.«
»Und an der Leiche von heute morgen war dann nur einer von beiden beteiligt?«, fragt der Calabretta. »Und der Zerstückelungsspezialist war verhindert? Oder wie müssen wir uns das vorstellen?«
Herr Borger setzt seine Brille wieder auf, zieht eine Schnute und sagt: »Spekulation.«
»Leute«, sagt der Calabretta und wischt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Wir haben absolut nichts, an dem wir uns festhalten können. Und wir haben drei tote Männer innerhalb einer Woche. Es wird langsam eng.«
»Okay«, sage ich, »dann
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