Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
wahrscheinlich alle am Strand. Carla nimmt zwei große Gläser aus dem Regal und gießt uns Limonade ein. Ich setze mich an die Theke, sie stellt sich dahinter und fängt an, Geschirr abzuwaschen.
»Was ist mit der Knarre?«, frage ich.
»Der geht’s prima«, sagt sie.
»Hast du die jetzt immer dabei?«
»Dafür hab ich sie gekauft«, sagt sie.
»Und? Fühlst du dich damit besser?«
Sie unterbricht ihren Abwasch.
»Nein«, sagt sie. »Ich fühle mich nicht besser. Mir geht’s beschissen. Ich hab Angst, egal, wo ich bin. Ich hab Angst in meinem Bett, ich hab Angst in meinem Bad, ich hab Angst hier im Café, ich hab Angst auf der Straße. Ich hab Angst, wenn ich alleine bin, und ich hab Angst, wenn ich nicht alleine bin. Ich hab sogar Angst, wenn du bei mir bist. Ich habe das Gefühl, mein ganzes Wesen besteht zu neunzig Prozent aus Angst. Und der Rest ist eine Mischung aus Ekel und Wut.«
»Carla«, sage ich, »ich würde dir so gerne helfen.«
Ich hätte sie so gern beschützt.
»Du kannst mir nicht helfen«, sagt sie, »niemand kann mir helfen.«
»Ich hab in den letzten Tagen manchmal gedacht, dass es dir ein kleines bisschen bessergeht«, sage ich.
»Ich versuch’s mit Tapferkeit«, sagt sie. »Ich will mich nicht unterkriegen lassen. Die Arschlöcher haben mir meine Würde genommen, da unten im Keller.« Sie macht mit dem Abwasch weiter und bricht einer Tasse den Henkel ab. »Aber mein Leben kriegen sie nicht.« Sie atmet tief durch und sieht mich an. Da sind Tränen in ihren Augen.
»Zigarette?«, frage ich.
»Ja«, sagt sie.
»Dann komm.«
Wir gehen raus, setzen uns auf den Gehsteig und rauchen, ich hab den Arm um sie gelegt, und sie erzählt mir von Rocco Malutki. Wobei es im Vergleich zu den Geschichten, die Carla sonst immer mit Männern hat, nicht viel zu erzählen gibt. Es gibt keine Sauftouren, keine wilden Nächte, keine Dramen. Es gab lediglich eine vorsichtige Knutscherei mit Hafenblick, unter einer Plastikpalme. Seitdem sehen sie sich jeden Tag. Er kommt einfach immer so gegen Nachmittag im Café vorbei. Wenn Carla dann am Abend den Laden zuschließt, gehen sie spazieren oder was essen. Und wenn Carla müde wird, bringt er sie nach Hause. Gestern Abend wollte sie nicht alleine sein. Da ist er über Nacht geblieben. Er hat gewartet, bis sie eingeschlafen war, dann hat er sich ins Wohnzimmer verzogen.
»Hört sich gut an«, sage ich.
Sie nickt. »Es stimmt auch nicht, dass ich immer Angst habe.« Sie zieht an ihrer Zigarette. »Wenn Rocco bei mir ist, vergesse ich das manchmal.«
Ich hebe ein paar Steinchen von der Straße auf und lasse sie durch meine Finger rieseln.
»Ich hab mich mit Klatsche vertragen«, sage ich.
Carla grinst mich von der Seite an und hält ihr Glas in die Höhe.
»Prost Limo«, sagt sie.
»Prost.«
Wir rauchen unsere Zigaretten auf, trinken aus und gehen wieder rein.
Ich setze mich noch ein bisschen an die Theke und blättere in der Sonntagszeitung, und dann sitzt da plötzlich diese Frau neben mir, hab ich gar nicht mitgekriegt, dass die reingekommen ist. Sie ist fast so groß wie ich, und weil sie ein Tank-Top trägt, sieht man, dass sie auffällig gut trainiert ist. Das ist eine von diesen Frauen, die unglaublich definierte Arme haben. Ich finde, dass das immer höchst merkwürdig aussieht, aber irgendwie auch sehr anziehend wirkt. Sie hat glatte, hanseatisch blond gesträhnte Haare, die im Nacken zu einem strengen Zopf gebunden sind. Sie sitzt neben mir, liest in der Zeitung von gestern und trinkt eine von Carlas selbstgemachten Limonaden, ich glaube, das ist Apfel. Irgendwoher kenne ich die Frau. Carla lächelt sie an, als sie an ihr vorbeiläuft.
Ah. Jetzt weiß ich. Die Köchin.
Ich hab ja ihre Sendung gesehen. Ich hab zwar nicht mitgekriegt, worum es da genau ging, weil Klatsche mich die ganze Zeit sparsam von der Seite angekuckt hat, und das hat mich dann doch sehr irritiert, aber die Frau hab ich mir gemerkt. Natürlich vor allem wegen des Essens, das sie offensichtlich in der Lage ist zu kochen, aber auch, weil die echt stramm aussieht. Wie ein Offizier im Köchinnenkostüm. Das ist mir schon aufgefallen, als ich sie am Freitag in der Glotze gesehen habe. In echt ist das noch viel heftiger. Sie hat eine Ausstrahlung, als wäre sie dafür geboren, Befehle zu geben. Ich würde sie mir wirklich gerne genauer ansehen, aber ich will nicht aufdringlich sein. Ich versuche, mich wieder auf meine Zeitung zu konzentrieren.
»Sagen Sie mal, Carla,
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