Knecht – Die Schattenherren II
nicht, wo er sich aufhält?«
Spöttisch präsentierte Gadior den Hafen, wie es ein Theatermeister mit seinem Bühnenbild tun mochte. »Hier scheint es gute Sitte für einen Kapitän zu sein, vor dem Auslaufen so viele Tavernen wie möglich zu beehren. Ulrik wird sich dem kaum verwehren.«
Der Morgen dämmerte, kurz nachdem die Osadroi ihr Tagquartier bezogen hatten. Bren ging über das sacht schwankende Schiff, wo jeder, den er ansprach, Gadiors Vermutung über Ulriks Verbleib teilte. Bren überlegte, ob er jemanden schicken sollte, um den Kapitän zu holen, aber dieser konnte ohnehin nicht mehr lange auf sich warten lassen. Zur Mittagsstunde wäre die Mündung passierbar, dann müssten sie schon auf dem Weg sein.
Sutor winselte. Obwohl er eine Woche Zeit dazu gehabt hatte, hatte sich der Hund nicht an die Nähe von Fayé gewöhnt. Das galt auch für Alenias, der unbewegt wie eine Statue im Bug stand. Die Arme mit den beiden Gelenken wirkten besonders fremd, weil er sich wie ein Schattenriss vom heller werdenden Himmel abhob und sie zu den Seiten gestreckt hatte, um sich an der Takelage festzuhalten.
»Es sieht aus, als bekämt Ihr Euren Willen«, stellte Brenfest.
»Ist das ein Fluch oder ein Segen?«, versetzte Alenias.
»Wollen wir nicht alle, dass sich unsere Wünsche erfüllen?«
»Aber ist es gut, zu erhalten, was wir wollen? Solange wir einem Ziel entgegenstreben, hat unser Leben einen Sinn. Aber wenn wir es erreicht haben – was folgt dann?«
Bren zuckte mit den Schultern. »Das nächste Ziel, nehme ich an. Ich wollte ein Krieger werden, dann ein Offizier, dann ein General.«
»Und jetzt? Ein Unsterblicher?«
Bren antwortete nicht. Natürlich wollte er das. Wie jeder Mensch. Das war die Sehnsucht, die in alle Kreaturen eingeschrieben war. Die Sterblichkeit zu überwinden. Aber Bren sprach es ungern aus. Es machte nur deutlich, dass er in dreieinhalb Jahrzehnten nicht erreicht hatte, was Gadior in der Hälfte der Zeit vollbracht hatte. Gut, Velon war älter gewesen, aber er war eine Ausnahme.
»Immer neue Ziele, das ist der Segen eines kurzen Lebens. Im ersten Jahrhundert schmeckt alles interessant.«
Bren sah zu, wie die Schiffe Ladung aufnahmen, vermutlich Proviant. Fässer wurden an Bord gerollt, ein Junge trug Stockfisch an einer Stange auf der Schulter.
»Was hofft Ihr am Seelennebel zu finden?«, fragte Bren.
»Etwas Neues, denke ich.«
»Niemand kehrt von dort zurück.«
»So sagt man.«
»Manchmal scheint mir, Ihr fürchtet die Ewigkeit so sehr wie andere das Ende.«
Er trug sein graues Haar heute offen, der Wind zupfte träge an den Strähnen. »Man fürchtet wohl weder das eine noch das andere, sondern immer nur die Sinnlosigkeit.«
»Entschuldigt mich«, bat Bren, als er Ulrik am Kai stehen sah, wo er einige seiner Goldketten an zwei vollbusige Schönheiten vermachte, von denen eine einen bunten Vogel auf der Schulter trug.
»Auf ein Wort«, bat Bren und nahm Ulrik beiseite, als dieser an Bord kam. »Wie verhindern wir das hier?« Er zeigte auf die anderen Schiffe.
»Ihr schätzt keine Gesellschaft?« Ulriks Atem hätte ausgereicht, einen Schiffsjungen volltrunken zu machen, aber er lallte nur schwach und stand sicher auf den Beinen.
»Kiretta meint, sie wollen sich uns anschließen. Aber ich will nicht wissen, an wem sie sich schadlos halten, wenn sie herausfinden, dass es nichts für sie zu holen gibt.«
»Angst, General?«
»Nein, aber ich sehe einen Streit kommen, in dem es für uns nichts zu gewinnen gibt.«
Er ließ geschehen, dass Ulrik ihm einen Arm schwer um die Schultern legte. »Wisst Ihr, selbst wenn wir es wollten, könnten wir nicht verhindern, dass sie sich uns anschließen. Jeder Kapitän ist Herr seines Schiffs.«
»Das habe ich inzwischen verstanden.«
»Gut. Dann habt Ihr auch begriffen, dass niemand ihnen wehren kann, abzulegen, wann sie wollen, und wenn sie zufällig die gleiche Richtung haben wie wir … nun, dann ist das wohl so.«
»Können wir sie nicht abhängen?«
»Doch, sicher.« Der Überschwang in seiner Stimme war der einzige Hinweis darauf, dass der Alkohol in ihm arbeitete. »Wenn Ihr das wünscht. Die kommende Nacht wird Gelegenheit dazu bieten. Doch das wird sie noch wilder darauf machen, ihren Teil an unserer Beute zu bekommen.«
»Aber es gibt keine Beute.«
»Lasst es mich so sagen: Der größte Schatz ist der, den noch niemand gesehen hat. Die ganze Nacht über hat in den Tavernen ein Gerücht ein neues entzündet.« Er
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