Knigge fuer Individualisten
gewählte Karte, tragen das Ganze zur Post –
und dann: Keine Empfangsbestätigung, kein Danke, nichts. Sie fühlen sich
schlecht, richtig? Und Sie selbst ersparen einem Schenkenden so ein
schlechtes Gefühl, richtig? Als Natürliche sowieso, als Traditionelle auch. Und als Locker-Lässige? Warten Sie nicht, bis Sie dem Absender live
ein Küsschen auf die Wange drücken können. Bis dahin haben Sie die Pralinen
längst ge- und vielleicht vergessen. Lieber ein Kärtchen, eine E-Mail oder
wenigstens ein Anruf. Und wie halten Sie es als Dynamische? Wer Sie gut kennt,
erwartet von Ihnen kaum, dass Sie jetzt ein Schreibwarengeschäft auf- und
nach einem passenden Motiv durchsuchen. Legen Sie sich bei Gelegenheit einen
Kartenfundus an. Das Wort »Danke« können Sie doch schreiben, gell?
Ansonsten: Ein Anruf ist auch okay.
Gratulieren
»… mit größter Freude möchte ich mich in die Schar der
Gratulanten einreihen und Ihnen, leider verspätet, doch nicht weniger
herzlich, zu Ihrem persönlichen Ehrentag gratulieren. Ich hoffe inständig,
dass das kommende Jahr ein sehr glückliches ist, voller Momente, an die Sie
sich noch gern und lange erinnern möchten. Hierbei sollen Ihnen Gesundheit
und innere Zufriedenheit treue Weggefährten sein. So verbleibe ich für heute
mit meinen besten Wünschen und sehr freundlichen Grüßen …«
Nein, das ist kein konstruiertes Negativbeispiel aus
der launigen Präsentation eines alten Korrespondenzlehrgangs. Das ist ein
echter Geburtstagsbrief aus dem Jahr 2011. Sie haben sicherlich einige der
Ausdrucksfehler in dieser Realsatire entdeckt:
Worthülsen: »persönlicher Ehrentag« statt
»Geburtstag«,
abgegriffene oder falsche Sprachbilder: »in
die Schar der Gratulanten einreihen«, »Gesundheit und … Zufriedenheit
treue Weggefährten«,
unmäßige, aufblähende Adjektive: »größte
Freude«, »innere Zufriedenheit«, »sehr freundliche Grüße«.
Wenigstens ist dem Gratulanten eine gewisse Konsequenz
nicht abzusprechen; wenn schon falsch, dann richtig. Die Empfänger solcher
Machwerke müssen ihrerseits gleich zwei Kunststücke vollbringen: 1. sich
durch die Schwurbelei und Nachlässigkeit nicht herabgesetzt fühlen und 2.
sich mit Anstand dafür bedanken: Denn auch ein Jubilar hat Pflichten.
Hauptsache, Sie verlangen von Ihren Lesern nicht einen solchen Grad an
Selbstdisziplin. Gratulieren Sie schriftlich, wie Sie mündlich gratulieren
würden: konkret, wertschätzend, persönlich ( > ).
Weihnachtspost
»Frohes Fest und alles Gute zum neuen Jahr.« Alle
Jahre wieder ranken sich die mehr oder weniger gleichen Worte um die mehr
oder weniger originellen Motive. Für Individualisten ist das nichts. Wie
sehen deren Grüße zum Jahresende aus? Vielleicht so: Traditionelle könnten übers Jahr in
Antiquariaten oder auf Flohmärkten nach alten Bildmotiven stöbern und diese
professionell auf Karten kleben oder scannen (lassen). Für Natürliche ist der Jahresbrief das
Medium der Wahl: So weiß Ihr ganzes Umfeld auf einen Schlag, was bei Ihnen
los ist. Persönliche Sätze für jeden Adressaten nicht vergessen. Für Dynamische: Prägnant muss nicht
formlos sein. Haben Sie eine kreative Ader? Skizzieren Sie von Hand eine
Kerze oder einen Zweig; Picasso kam auch oft mit wenigen Strichen aus. Als Lässige wählen Sie bitte keine
Schwarzwaldtanne im Schnee. Niemand nimmt Ihnen ab, dass Sie hinter diesem
Motiv stehen. Vielleicht doch schon im Herbst mal Karten aussuchen? Und die
lieber Anfang Dezember als im Februar verschicken?
Traurige Anlässe: Krankheit und Tod
Die Hauptsache in einem Brief an einen Kranken sind
konkrete Genesungswünsche. Doch was kann man schon wünschen, wenn der
Patient und Sie wissen, dass er unheilbar krank ist? Etwas bleibt sogar für
ihn zu hoffen: eine tätige und sensible Unterstützung durch Ärzte,
Pflegekräfte, Freunde und Familie, gegebenenfalls Geborgenheit im Glauben
und vor allem Schmerzfreiheit. Schreiben Sie ihm das – und dass Sie an ihn
denken. Das ist nicht viel, doch es ist glaubhaft und einfühlsam
zugleich.
Kondolieren
Schreiben Sie als einzelne Person besser an eine
Einzelperson als an mehrere Hinterbliebene. So können Sie im Singular
bleiben, und korrekte Formulierungen gelingen problemlos: »Ihr Bruder« statt
»Ihr Bruder/Schwager/Dein Onkel«; »Ich habe« statt »Mein Mann und ich
haben«. Schließen Sie die anderen in den
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