Knigge fuer Individualisten
E-Mail; wie
anerkennend und persönlich wirkt daher ein Brief oder eine mit Bedacht
gewählte Doppelkarte im Umschlag.
Deshalb könnte die Marketing-Weisheit über den Einfluss der
Verpackung auf den erwarteten Inhalt ergänzt werden durch die Formel
»Zeitinvestition + Seltenheit = Wertschätzung«. Da lohnt es sich doch,
Federhalter und Tintenfass noch nicht zu entsorgen. Und bei Gelegenheit zu
verwenden. Denn Kugelschreiberschrift auf feinem Bütten entspräche sinngemäß
der Stilkombination Gesundheitsschlappen zum Anzug.
Die Knigge-Stile geben unterschiedlichen Medien den Vorzug: Traditionsbewusste nutzen die
formelle Wirkung von Federhalter und Papier. Sie laufen nicht Gefahr, einen
Brief zu spät zur Post zu tragen; ihre Kalender sind stets perfekt geführt.
Bei dynamischen Schreibern ist der
Füllfederhalter seit der Schulzeit eingetrocknet; sie tippen lieber vom
Crosstrainer aus Nachrichten ins Smartphone. Wenn das sein muss, schicken
Sie bitte eine Gratulation beim Morgentraining los und nicht erst nach der
Tageshektik kurz vor Mitternacht. Als Lockere machen Sie es ähnlich oder kaufen im Vorbeigehen am
Kiosk Karten mit witzigen Motiven. Aber Vorsicht: Bei einem ernsten Inhalt
verwenden Sie besser nur ein weißes Blatt oder eine hochwertige Karte. Natürliche Pragmatiker können
unterscheiden und versenden rein Informatives elektronisch, persönlich
Wertschätzendes auf Papier.
SCHREIBEN
2.0: DU SOLLST nicht langweilen
Der Empfänger soll Ihre Post gern lesen, komplett und
konzentriert? Dann befolgen Sie die sieben Gebote des Schreibens. Sie
lauten: Du sollst …
abspecken: Schlank ist chic, auch bei der
Wortwahl. Wozu einen »Telefonanruf« ankündigen? »Anruf« genügt.
Und wenn Sie »unter Zuhilfenahme eines Stiftes« schreiben,
können Sie das ohne Verlust schlicht »mit dem Stift« tun. Das
ist eine Tatsache, die nicht zur »vollendeten« Tatsache
aufgebläht werden muss. Und »ich« ist nicht weniger, sondern
weit mehr als »meine Wenigkeit«.
Sätze leben lassen: Zu viele Substantive töten
Ihren Text – und den Nerv des Lesers. »Wir sehen uns nicht in
der Lage?« Na wo sehen Sie sich denn? Leserfreundlicher ist:
»Wir können dies nicht, dafür aber das«. »Aufgrund Ihrer
Mitteilung erhalten Sie hiermit die Bestätigung, dass die
Erledigung Ihres Auftrags mit großer Wahrscheinlichkeit …« Nein!
»Danke für Ihre Frage. Sie erhalten die Ware voraussichtlich …«.
Ja.
nicht leiden: Das Projekt »ist nicht
realisierbar«, das Schreiben »wird fertiggestellt«, wenigstens
das. Ja und dann »werden Sie benachrichtigt«. Geholfen werden
Sie, wie ein mit Sprachwitz spielender Werbespot verspricht,
also noch lange nicht. Ohne Passiv-, also Leide-Formen ist
die Sache schneller klar. Nennen Sie Ross und Reiter: »Wir
helfen Ihnen. Und das sofort. Und gern.« Yessss.
nicht ohne Punkt und Komma schreiben: Kurze Zeilen
und Absätze sind die deutlichsten Gliederungsmittel. Außerdem
gilt: Wer Punkt und Komma nicht ehrt, ist der Lektüre nicht
wert. Und diese Satzzeichen sind nicht die einzigen. Es stehen
noch zur Verfügung: das Semikolon, das allein durch seinen
Seltenheitswert Spannung erzeugt; Gedankenstrich und Doppelpunkt
– sie schaffen ohne Worte Zusammenhänge; Fragezeichen und für
wörtliche Zitate Anführungszeichen für den direkten Bezug des
Sprechers zum Leser. Vorsicht aber mit Ausrufezeichen! Ein
geschickter Autor muss nicht brüllen. Und wenn, dann nur im
richtigen Moment.
Schachtelsätze vermeiden: »Wir hoffen auf Ihr
Verständnis dafür, dass sich, weil bei der Verzollung ein
Problem aufgetreten ist, die für den 2. Mai avisierte Lieferung
bis 20. Mai verzögert.« Warum Haupt-Sachen in Neben-Sätzen
verstecken? Klartext schreiben: »Sie erhalten die Ware statt am
2. am 20. Mai. Wir bitten Sie um Geduld.« – »Erlauben Sie mir,
Ihnen die Frage zu stellen, ob Sie am 09.12. Zeit für mich
hätten?« So nicht. Fragen Sie lieber: »Wann darf ich Sie am
09.12. besuchen?«
nicht übertreiben: »Ich bin fest davon überzeugt,
wir kommen sehr schnell zu einem befriedigenden Ergebnis.« Eine
geschliffene Sprache lässt auf einen Schreiber mit hohem Status
schließen. Unterstreichende Wörter im Übermaß wirken hingegen
nicht verstärkend, sondern – im Gegenteil – relativierend. »Ich
weiß, wir schaffen das.« So formuliert ein gleichermaßen
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