Knigge fuer Individualisten
flüssige vor festen und bei festen milde vor pikanten. Auf der – wie die
Gastronomen sagen – »à-lacarte-Karte« finden Sie deshalb die Gerichte meist
in dieser Reihenfolge aufgeführt. Wird Flaschenwein getrunken, wählt die
Tischrunde am besten ähnliche Hauptgänge.
Traditionelle halten
sich penibel an Empfehlungen. Lockere lassen sich nicht nehmen, sie zu ignorieren – auch okay. Natürliche stillen ihren Hunger schon
einmal mit einem einzigen Gang. Dann bitte aber nicht wie ein Mahnmal
dasitzen und den Gourmets beim Genießen zugucken. Vielleicht geht ja doch
noch ein kleiner grüner Salat; es muss nicht die gratinierte Fischpfanne
sein. Dynamische essen ruhig mal drei
Vorspeisen, aber keinen Hauptgang. Alles fein.
Manchmal brisant: das
Gäste-Rollen-Spiel
Nicht immer aber läuft die Sache glatt, z. B. weil die
Rollen zwischen zahlenden und geladenen Gästen nicht klar verteilt sind oder
weil die Spieler ihre Rollen nicht beherrschen.
Von Damen und (anderen) Gästen
Zwar behauptet die Statistik, die meisten Frauen – und
nicht nur traditionelle – wollten
eingeladen werden. Doch weder bei einem Date noch unter Geschäftspartnern
ist eindeutig, dass der Mann zahlt. Warum auch? Sie können (als Frau, als
Mann) locker und natürlich feststellen: »Ich schlage
vor, wir machen fiftyfifty.« Oder aber: »Heute lade ich dich ein.« Wollen
Sie das Gegenteil erreichen, dann ohne Scheu und ganz dynamisch: »Nett, dass Sie mich
einladen.« Ganz schön mutig. Denn niemand wird sich die Blöße geben,
einzugestehen, dass es gar nicht seine Absicht war, für alle zu bezahlen. Ob
es aber so bald wieder zu einem gemeinsamen Essen kommt?
Das sind ja Typen da, im Restaurant
Natürliche spielen die Rollen von Gastgeber und Gast, weil das ihrer Vorstellung von
Geben und Nehmen entspricht. Sie gehen respektvoll mit den Servicekräften um
– wie auch sonst. Ihr Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn Sie als
natürliche Frau einen Mann einladen. Ein lockerer Gast führt zwar selbst nicht konsequent, kann sich
aber führen lassen, und das ist ja schon was; Hauptsache Freude mit- und
aneinander. Ersparen Sie aber einem traditionellen Herrn die Irritation, sich von einer Dame
»aushalten« zu lassen. Schneller als ein Dynamischer zu sein, ist schwer. Bitten Sie bei diesen beiden
Gästetypen die Servicekräfte: »Bitte verkosten Sie den Wein.« Oder, später:
»Machen Sie mir bitte die Rechnung fertig. Ich komme zum Zahlen zu
Ihnen.«
Traditionelle spielen das Gastgeber-Gast-Spiel bis in jede einzelne Geste. Verlieren Sie
dabei aber nicht die Kontrolle. Ruhig mal die dynamische Karte spielen, auf
der steht: »Überblick«. Dynamische fühlen sich als Gastgeber wohl. Führen Sie gut – und gern mit den
Zusatzkarten »natürlich« oder »locker«. Für die kritischen Dynamischen: Sie sind nicht als
Restauranttester hier. Klar: Sie reklamieren ein Haar in der Suppe, doch
bleiben Sie ruhig dabei. Soll eine Servicekraft kommen? »Herr Ober« ist
veraltet, die »Frau Oberin« leitet ein Kloster und kein Lokal. Ein
»Fräulein« ist die Servicekraft oft nicht, und »Hallo« heißt sie nicht.
Geben Sie Ihr Signal per Blick, per Geste und notfalls mit
»Bitte«.
BLAMAGE-PROPHYLAXE
Manche Tischregeln dienen der Unterscheidung: Wer hat
sie drauf, wer nicht? Wer ist in die Feinheiten des Spiels bei Tisch
eingeweiht, wer nicht? Sie zu befolgen ist je nach sozialem Umfeld Kür
oder überflüssig. Andere gehören zum Pflichtprogramm. Wollen Sie Ihr
Essen genießen und den Genuss der Tischgemeinschaft zumindest nicht
stören, vermeiden Sie dies:
Ekel erregen: schmatzen; mit vollem
Mund sprechen; Reste auf den Teller spucken, statt sie mit der
Gabel abzulegen; sich bei Tisch die Zähne reinigen
Hygieneregeln verletzen: sich im
Mantel an den Tisch setzen; sich in die Serviette schnäuzen;
Brot anfassen und in den Brotkorb zurücklegen; mit dem eigenen
Besteck Speisen aus Schüsseln angeln; sich kämmen
Gerätschaften und Speisen
zweckentfremden: Speisen mit dem Messer aufspießen und zum Mund
führen; statt vom Teller aus der Beilagenschüssel essen;
Salatschälchen leertrinken; mit Wasser gurgeln; mit Brot
spielen
egoistisch handeln: sich den besten
Platz sichern; sich z. B. mit Wasser, Brot, Butter bedienen,
ohne zuvor den Nachbarn davon anzubieten; mit Essen und Trinken
beginnen, wenn noch nicht alle bedient sind; bei
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