Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Kässbohrer entwickelt. Baby ist ein toller Vollschwingachser, verstehen Sie?«
»Voll und ganz«, beteure ich.
»Hat nämlich eine Einzelradaufhängung mit Schwingachsen vorn und hinten. Die Achsträger mit den beiden Dreieckslenkern sind also mit dem Aufbau verbunden …«
»Bestimmt außerordentlich nützlich.«
»Klar, für die Federung«, bestätigt er. »War damals revolutionär, dieser Kleinbus mit der selbsttragenden Karosserie.«
»Der was?«
»Der Setra. Selbsttragende Karosserie. Deswegen heißt Baby doch so. War ganz schön schwer, an alle Ersatzteile ranzukommen. Aber ich habe es geschafft!«
Wonach er seine Bastelarbeit spaßeshalber dem TÜV vorgeführt und zu seinem Erstaunen eine Plakette bekommen hatte.
»Was nun, dachte ich. Der Bus war fertig, mein Hobby weg, und so kam ich auf die Idee mit der Kaffeefahrt.«
»Gute Idee!«, erklingt es.
Ich sauge die Luft ein. Alle Zweifel verfliegen. An der Tür steht ein rotes Ausrufezeichen. Regines Haare leuchten in Fuchsia wie auch ihre Lippen. Der schmale neue Wollmantel ist nur unwesentlich gedämpfter eingefärbt. Passende Schuhe hat sie in Stadtkyll anscheinend nicht auftreiben können, weshalb wohl auf ihren schwarzen Pumps dunkelrote Schleifen kleben. Die rostfarbenen Augenbrauen haben einen dramatischen Schwung erhalten.
Hermann Kerschenbach springt so schnell auf, dass sein Hocker beinahe umfällt. Er stabilisiert ihn und sich, greift dann den Herbststrauß von der Anrichte und hält ihn Regine mit ausgestrecktem Arm hin.
»Meine Schwester hat ihn selbst gepflückt«, sagt er. »Sie lässt Euch herzlich grüßen.«
»Danke«, sagt Regine und wirft das neu erglänzte Haar in den Nacken. Sie zieht einen Weinkühler vom Regal, stopft die Blumen lieblos hinein und fragt sachlich: »Kriejensenen Tee, Hermann?«
»Hat er schon gekriegt«, sage ich, neugierig, wie so ein spätherbstliches Rendezvous in einer Gegend ablaufen wird, wo nirgendwo ein lauschiges Plätzchen zum Näherkennenlernen einlädt.
»Linus braucht Bewegung«, erklärt Regine und reißt die Leine vom Nagel. »Wir besuchen Nicolina, gehen dann um die Häscht und gucken uns an, wie das alte Windrad neue Flügel angepasst kriegt.«
Sie wendet sich mir zu. »Wenn sie schon die ganze Straße von Hallschlag zur Kehr für so einen Flügeltransport sperren, will ich was für meinen Umweg haben.«
»Psscht«, fahre ich sie an. Ich stelle das Radio lauter. Habe ich da nicht eben Kehr gehört?
Unser Reporter Stephan Pesch ist in Eupen vor Ort.
»Eupen«, stöhnt Regine. Sie krallt fuchsiarote Fingernägel in das Sonntagsjackett des Busfahrers.
»Kommense, Hermann.«
Ja, meldet sich mit angenehmer Stimme Stephan Pesch, die Pressekonferenz, zu der die Prokuratorin des Königs, Andrea Tilgenkamp, ins Eupener Gerichtsgebäude geladen hat, ist gerade zu Ende gegangen. Aber das Rätselraten geht weiter. Wenn auch nicht über die Identität des Toten. Die ist von der Vermisstenzelle, der celulle de disparition , in Brüssel ermittelt und durch eine Genanalyse einwandfrei bestätigt worden. Und hat eine große Überraschung zutage gefördert. Der hinter vorgehaltener Hand gemunkelten Vermutung, vor langer Zeit sei offenbar ein Schmuggler oder Zöllner in Kehr eingemauert worden, ist damit der Bo…
»… auf der Kehr«, verbessere ich laut und verpasse durch diese Intoleranz den nächsten Satz, … Briefträger, der damals auch die Renten zustellte. War es also ein Verbrechen aus Habgier? Oder aus bitterer Not? Das Verschwinden des Briefträgers …
Briefträger? Was für ein Briefträger?
… zu den Akten gelegt. Man hatte, wie sich nach den jüngsten Erkenntnissen herausgestellt hat, den Postboten damals zu Unrecht verdächtigt, sich mit Geldern und Wertsachen über die Grenze nach Deutschland abgesetzt zu haben. Sind ihm in Kehr etwa solche Wertsachen zum Verhängnis geworden? Die damaligen Bewohner des Hauses, in dem vor einer Woche seine Knochen gefunden wurden, kann man dazu nicht mehr befragen …
»Die Heutigen auch nicht«, knurre ich.
Auch wenn das Verbrechen schon weit über ein halbes Jahrhundert zurückliegt, ist nicht ausgeschlossen, dass der Mörder noch lebt …
Vielleicht war es nicht mein Vater, sondern seine Frau? Die ist erst kurz danach ums Leben gekommen, übrigens ebenfalls unter scheußlichen Umständen, wie ich bei meiner Ankunft in der Eifel erfuhr. Der Briefträger wird doch auch damals tagsüber die Post gebracht haben, zu einer Zeit, da die Männer auf
Weitere Kostenlose Bücher