Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
geschieht: Marcel hat plötzlich angefangen zu singen.
»Stayin’ alive, stayin’ alive. Stayin’ alive, stayin’ ali’ hive …« ,
Im Takt zu diesem verstaubten Bee-Gees-Songdrückt der belgische Polizeiinspektor dem alten Mann resolut seine Hände in die Brust.
»Music loud and women warm. I’ve been kicked around since I was born.«
»Der ist ja völlig verrückt geworden«, tönt Konrad Meissner. Er hockt sich mit knackenden Gliedern neben Marcel und versucht, ihn zur Seite zu schieben. »Lassen Sie mich mal ran.«
»Aha, ha, ha, stayin’ alive. Stayin’ alive. Ah, ha, ha, ha,
stayin’ alive.«
Der alte Medizinstudent rüttelt Marcel an den Schultern.
»Sind Sie ein Arzt? Sind Sie ein Arzt?«, singt Marcel im Takt zu seiner Wiederbelebungsaktion. »Stayin’ alive, stayin’ alive, aha, ha, ha …«
»Nein, noch nicht, aber …«
»Gehen Sie weg, gehen Sie weg, aha, ha ha, stayin’ alive! «
Marcel setzt mit dem Singen aus, holt tief Luft und beginnt mit der Mund-zu-Mund-Beatmung.
»Er kriegt wieder Farbe!«, ruft eine Frau.
Marcel hebt den Kopf, betastet Jakob Perings’ Hals und nickt.
»Das Herz schlägt«, sagt er erleichtert und beugt sich wieder nahe an das Gesicht heran. »Und er atmet wieder.«
Konrad Meissner lehnt sich zurück. Empört, wie mir scheint. Ich atme erleichtert aus. Welch ein Segen, dass nicht noch ein Perings auf meinem Grund und Boden sein endgültiges Ende gefunden hat!
Die Prümer Ambulanz trifft ein. Nachdem die Sanitäter eine Sauerstoffnasensonde und eine Infusion gelegt haben, öffnet Jakob Perings die Augen einen Spalt.
»Ich fahre mit«, sagt Marcel.
»Nein«, flüstert der Mann, hebt schwach die Hand und deutet auf Hermann Kerschenbach. »Bitte. Bei mir bleiben. Nicht weggehen.«
Der Busfahrer sieht ratlos aus.
»Sind Sie verwandt?«, fragt der Sanitäter.
Hermann Kerschenbach schüttelt den Kopf. »Ich kenne den Mann gar nicht«, flüstert er.
»Fahren Sie unbedingt mit«, drängt der Sanitäter. »Das habe ich noch nie erlebt, dass da einer was sagen kann, nach einer solchen Herzrhythmusstörung, muss ihm wirklich sehr wichtig sein …«
»Fahr schon«, sagt Regine. »Wir kümmern uns um deine Leute.«
»Aber das geht nicht«, protestiert Frieda Kerschenbach, die weiter hinten steht und wahrscheinlich nicht alles mitbekommen hat. »Wir wollten doch noch …«
»Ich fahre mit«, entscheidet Hermann Kerschenbach. »Auch wenn ich das alles nicht verstehe.«
»Ich schon.« Regine schiebt sich an seine Seite und gibt ihm vor allen Leuten einen Kuss mitten auf den Mund. »Du bist eben was Besonderes, Hermännche, das habe ich gleich gesehen.« Sie wirft Gudrun einen triumphierenden Blick zu.
»Ihr habt ihn ins Leben zurückgesungen!« Ehrfürchtig ergreift eine Frau Marcels Hand.
»Das war aber kein Kirchenlied«, meldet sich eine andere weibliche Stimme mit unterdrücktem Vorwurf.
»Nein«, sagt Marcel, »da gibt es leider noch keins mit dem richtigen Rhythmus.«
»Wieso die Bee Gees?«, frage ich.
»Das haben wir im Erste-Hilfe-Kurs beim Roten Kreuz gelernt. Einhundertdrei Schläge pro Minute. Ideal für eine Herz-Lungen-Wiederbelebung. Wir haben uns damals kaputtgelacht. Aber es ist wirklich sehr nützlich.«
Nicht einmal Frieda Kerschenbach protestiert, als Regine die Flaschen mit Hochprozentigem wieder hervorholt. Sie nimmt sogar selbst ein Glas zu sich, keinen Likör, sondern den alkoholintensiven Sommerbrand. Sie kippt ihn, in tiefes Nachdenken versunken, für sich allein, während alle anderen aufgeregt durcheinanderreden. Wahrscheinlich fragt sie sich, ob sie den Bus selbst steuern kann.
»Whisky?«, frage ich Marcel mit vielsagendem Blick.
Er schüttelt den Kopf. »Bin noch im Dienst.«
»Du bist doch in Deutschland …« Ich breche ab, entsetzt über mich selbst. Natürlich habe ich mich den Gebräuchen der Eifel angepasst, aber so weit, dass ich den Leuten am helllichten Tag Hochprozentiges geradezu aufdränge, wollte ich es eigentlich niemals kommen lassen. Doch das ist jetzt eine Ausnahmesituation. In der das wahre Ich zutage tritt, wie ich irgendwo gelesen habe. Sehr erschreckend.
»Kaffee«, bittet Marcel und strahlt Gudrun an, die ihm in diesem Augenblick eine Tasse hinstellt. Wir alle kennen sein Lebenselixier. Er greift begierig danach.
»Das habt Ihr gut gemacht.« Konrad Meissner schlägt ihm anerkennend auf die Schulter.
Heißer Kaffee ergießt sich über die Uniformhose. Marcel springt auf.
»Nu die schü!«
Au
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