Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Birkenstocksandalen auf Regine zu, entreißt ihr die Flasche und zischt ihr etwas zu, das ich zum Glück nicht verstehen kann.
Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie Marcel den alten Herrn fürsorglich über die Straße geleitet.
»Stell noch ein Blümchen auf den Tisch«, raune ich David zu und gehe dann selbst vor die Tür, um dem Bruder des in meinem Haus Ermordeten die Ehre zu erweisen.
»Es ist schön, dass es auf der Kehr wieder eine Wirtschaft gibt.« Jakob Perings lächelt mich freundlich an.
Ich meide Marcels Blick. Eine andere Gaststätte auf der Kehr hatte sein eigenes Lokal in Krewinkel einst in den Ruin getrieben.
»In Krewinkel gab es auch einmal eine«, sagt Herr Perings prompt. »Die war viel näher für uns junge Leute aus Berterath.«
»Das war vor meiner Zeit«, murmelt Marcel mit zusammengebissenen Zähnen.
»Natürlich. Ihr beide seid ja noch so herrlich jung.«
Eine Bemerkung, die mir gerade jetzt ausgesprochen wohltut. Herr Perings ist im Alter Konrad Meissners. Und er benimmt sich auch so.
»Ich wünsche, wir wären uns unter anderen Umständen begegnet.« Und ich meine jedes Wort. Vor mir steht ein alter Herr, der diese Bezeichnung verdient. Wir sind inzwischen im Haus, und ich deute auf den von David schnell und schön gedeckten Tisch. Wie immer ist das Besteck akkurat ausgerichtet.
»Die Umstände, Frau Klein, können wir uns nie aussuchen. Danke, dass Sie Blumen vor das Takenschaaf gestellt haben.«
Marcels Lippen werden schmal, öffnen sich aber nicht. Den Rüffel, das Absperrband ignoriert zu haben, hebt er sich aus Pietät wohl für später auf.
Ich frage Herrn Perings, ob er etwas essen möchte.
»Gern etwas Hühnersuppe, falls Sie die im Angebot führen.« Er blickt sich um. »Ich sehe, Ihr Geschäft läuft gut. Das freut mich …« Seine Stimme verliert sich. Ich folge seinem Blick.
Der ruht voller Erschütterung auf Hermann Kerschenbach.
»Mein Gott!«, flüstert Perings und sinkt auf den Stuhl.
»Was ist los?«, fragen Marcel und ich gleichzeitig.
Der alte Herr atmet schwer. Er hebt einen zitternden Finger. »Bitte, wer ist das?«
»Herr Kerschenbach, ein Busfahrer aus Buchet«, sage ich verwundert.
Jakob Perings beginnt zu husten.
»Ein Glas Wasser«, ruft Marcel in den Raum. Regine reißt sich von der Seite des Busfahrers los und eilt in die Küche.
»Buchet?«, bringt Jakob Perings hervor. » Impossible . Das kann nicht sein. Er muss aus Belgien sein. Er ist …«
Wir erfahren nicht, wen Jakob Perings in Hermann Kerschenbach zu erkennen geglaubt hat. Da der alte Mann seit einem halben Jahrhundert in Brüssel lebt, kann er dem Busfahrer aus einem kleinen Grenzörtchen in der Westeifel wohl kaum je begegnet sein.
Aber das ist jetzt völlig unwichtig.
Als Regine ihm das Glas Wasser hinstellt, rutscht er ganz langsam vom Stuhl. Wir können ihn nicht aufhalten. Warum sollten wir auch? Auf seinem Gesicht liegt ein Lächeln voll einer dankbaren Glückseligkeit, die ihn im besten Sinne unberührbar macht. Als wäre ihm jemand erschienen, den er unbedingt noch einmal sehen wollte, bevor er sich von dieser Welt in die nächste verabschiedet. Jakob Perings stirbt vor unseren Augen. Ein gewaltfreier glücklicher Tod auf der Kehr, das haben wir schon lange nicht erlebt.
Die Kaffeefahrer erheben sich langsam von ihren Stühlen. Alle sehen, was soeben geschehen ist. Alle sind dankbar, dass es nicht sie erwischt hat. Alle sind beeindruckt, wie schnell und schön es gehen kann. Sie werden alle wiederkommen.
Kapitel 5
Heiße Feigen auf Pistazieneis
in Portwein, mit Aceto balsamico, Zimt, Sternanis, Kardamom, fein gehackten Chilis und Minzblättern
Wir lösen uns nur langsam aus dieser seltsam verzückten Erstarrung, in die uns der sanfte Tod eines Menschen versetzt hat.
»Ein Arzt!«, ruft Marcel in den Gastraum. Er streckt den Körper von Jakob Perings rasch aus, legt ihm seine Uniformjacke unter den Kopf, beugt sich über ihn, drückt seine Hände rhythmisch in den Brustkorb des Mannes, der jetzt nicht mehr friedlich lächelt. »Ist-ein-Arzt-hier?«
Alle, bis auf Gudrun, die gerade den Notruf wählt, sehen zu Konrad Meissner hin. Der hebt die Augenbrauen, leert sein Schnapsglas in einem Zug und schiebt sich dann von seinem Logenplatz nach vorn.
»Tabletten«, sage ich, »vielleicht hat der Mann Tabletten bei sich.«
»Wie willst du ihm die jetzt einflö…?«, beginnt Regine, bricht aber ab, weil sie genauso erschrocken ist wie ich. Etwas bislang Unerhörtes
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