Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
andere auch keine Lust zum Einkaufen haben. Wir haben hier ja genug Zerstreuung.«
So kann man das natürlich auch nennen.
Sie steht auf und schlägt mit dem Kaffeelöffel gegen ihr Schnapsglas.
»Alle mal herhören.«
Das Gemurmel verstummt.
»Der Hermann ist noch im Krankenhaus. Ein Herr vom Restaurant wird den Bus fahren, aber er darf nur acht Personen zum Grenzmarkt mitnehmen. Die können für die anderen mit einkaufen. Wer keine Lust hat mitzufahren, soll aufschreiben, was er braucht.«
Schmuggel im großen Stil.
»Wein ist Quatsch«, höre ich eine Beschwerde. »Der ist in Belgien teurer.«
»Aber im Grenzmarkt besser als beim Aldi«, verteidigt sich die Frau, die den Wein notiert hat. Tatsächlich wollen nur sechs Leute mit David fahren. Und Linus. Der ist außer sich vor Freude, als ihn David aus seiner Kammer befreit.
»Ihr habt ein schönes Haus«, sagt die Weinfrau zu mir und deutet aus dem Fenster zu dem heruntergekommenen Hof, den ich vor Jahren geerbt und dessen Fassade ich noch nicht habe restaurieren lassen. Ich starre sie verblüfft an.
»Ein Haus wie eins von früher«, setzt sie bemüht versonnen hinzu. »Habt Ihr drinnen auch alles beibehalten? Ich würde es zu gern sehen. Wenn Ihr wollt, könnte ich Euch dazu einiges erzählen. Ein Takenschaaf zum Beispiel war früher gar nicht ungewöhnlich, und in der Haascht, das ist die Esse, da haben wir die Würste geräuchert. Bei nassem Wetter lief die ganze Fett- und Rußbrühe an der Wand entlang bis auf den Herd runter. Hier in der Schneifel …«
»Schneifel!«, unterbricht Konrad Meissner. »Das hier ist doch nicht die Schneifel!«
»Natürlich ist sie das«, sagen die Weinfrau und ich zur gleichen Zeit.
»Die Schnee-Eifel, Kurzform Schneifel«, füge ich hinzu.
Konrad Meissner setzt sich rittlings auf einen Stuhl und grinst.
»Das denken alle. Aber es ist falsch.«
»Dann klären Sie uns doch mal auf«, sage ich finster.
»Schneifel ist nicht die Kurzform von Schnee-Eifel«, doziert der Medizinstudent des sehr späten Semesters. »Tatsächlich bedeutet der ältere Begriff Schneifel so viel wie Schneise. Und damit ist in diesem Fall der Höhenrücken zwischen Ormont und Sellerich gemeint, auf dem auch der Schwarze Mann als höchste Erhebung liegt.«
»Dazu gehören wir doch auch«, werfe ich ein.
»Die Kehr liegt quasi am Fuß der Schneifel«, fährt Meissner unbeirrt fort. »Die Schnee-Eifel ist ein erst später durch die Preußen eingeführter Begriff, der ein größeres Gebiet umfasst – Hallschlag, Kehr, Stadtkyll bis hinab nach Prüm und Pronsfeld.«
»Interessant.« Marcel ist inzwischen wieder voll bekleidet an unseren Tisch getreten. »Sie haben die Besetzung durch die Preußen wahrscheinlich noch selber erlebt, Herr Medizinstudent. Für uns Spätgeborene aber ist das hier eindeutig Schneifelland. – Ich muss fahren.«
Er küsst mich auf den Mund. Vor allen Leuten. Anders als Regine vorhin Hermann. Das war ein zärtlicher, verheißungsvoller Kuss gewesen. Marcels ist kurz und knallhart. Dennoch eine Zuneigungsbekundung. Die erste in aller Öffentlichkeit. Ich bin genauso erschrocken wie vorhin Gudrun in der Küche.
»Das ist ja …« Auch Herr Meissner ist fassungs- und zum Glück sogar sprachlos.
»Das hast du verdient, Konrad«, sagt Frieda Kerschenbach befriedigt. »Deine ewige Besserwisserei …«
»… hat dir auch schon mal den Arsch gerettet«, fährt er sie sehr uncharmant an.
Die Schwester des Busfahrers hebt die Hände.
»Ganz ruhig, Konrad. Alles wird gut.«
Regine stürzt atemlos ins Restaurant. Mit Nicolina auf dem Arm.
»Es ist eine Gans! Ein Weibchen! Und sie hat tatsächlich Spulwürmer!«
Konrad Meissner sieht mich triumphierend an.
»Sehen Sie, junge Frau, ich kenne mich auf vielerlei Gebieten aus …«
Mit Gewürm, denke ich, spreche es aber nicht aus, da einige Senioren immer noch ihr Feigeneis löffeln.
»… die ich zu gern mit Ihnen erkunden würde«, fährt Meissner fort, »vor allem jetzt, da uns der Herr Polizeiinspektor nicht mehr dabei stören kann.«
»Frau Klein hat dir bereits einen Korb gegeben. Merkst du denn immer noch nicht, dass du sie belästigst?«
Konrad Meissner richtet hellwache blaue Augen auf mich und erwidert ruhig: »Ein Nein muss nicht für immer sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt, und selbst dann kann sie genauso wiederbelebt werden wie der Mann, den wir alle für tot gehalten haben. Wohlgemerkt, Perings der Ältere, liebe Frieda.«
Die unheilvolle
Weitere Kostenlose Bücher