Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Aber zuerst hätte ich gern einen Whisky.«
Das ist eine erfreuliche Bitte. Er wird heute Nacht nicht nach Sankt Vith fahren. Und die Dämmerung hat gerade erst eingesetzt. Genug Zeit, um die Erfüllung eines ganz bestimmten Traumes voranzutreiben. Marcel hat diesen bislang gänzlich von sich und in den Bereich der Perversität verwiesen. Aber wenn ihn die Ereignisse dieses Tages nicht überzeugen, könnte es vielleicht der Zauber des Vollmonds tun.
In der Küche schenke ich uns zwei Gläser Single Malt ein.
Ich warte noch einen zweiten Whisky ab und lasse mir Zeit mit der Beantwortung seiner Frage, ob es mir jetzt besser gehe.
»Nun, ma biche ?«, hakt er besorgt nach und greift nach meiner Hand.
Ich erwidere den leichten Druck. »Ja, mon lapin , mir fehlt nur noch eins zu meinem Glück.«
Er sieht mich erwartungsvoll an.
»Ich möchte dir endlich Jacques Uhsi näherbringen. Du und ich und Jacques …«
Marcel haut sein Glas auf den Küchentisch, sodass die Hälfte herausschwappt.
»Katja!«
Ich bleibe unbeirrt. »Seit zwei Jahren macht er mir Freude. Gerade in solchen Nächten. Nur du fehlst mir dabei. Heute wäre für dich ein sehr geeigneter Abend, um ganz entspannt im Hier und Jetzt meinen Jacques Uhsi kennenzulernen.«
Ich stehe auf, öffne den Reißverschluss meiner Jeans und lasse sie zu Boden fallen.
»Du weißt, wo du mich findest«, erkläre ich und verlasse durch die Hintertür mein Haus.
Die Stille ist überwältigend. Ich atme die frische Eifeler Novemberluft tief ein, als ich den Deckel meines runden Jacuzzis abhebe, meine Bluse auf den Stuhl daneben werfe, in das warme Wasser eintauche und über die großzügige Landschaft blicke, die im aufgehenden Vollmond das Auenland der Hobbits glatt in den Schatten stellt.
So gern ich meinen müden Leib jetzt von Düsen massieren lassen würde, ich stelle sie nicht an. Will mit dem Gegurgel die Friedfertigkeit meiner Umgebung nicht stören, die wurmkranke Nicolina nicht aufwecken oder ein anderes Tier aufschrecken, will nur, dass Marcel dieses wundervolle Erlebnis mit mir teilt, dass er seinen Eifeler Starrsinn ablegt und sich mit mir im heißen Wasser am Vollmond über belgischen Windrädern erfreut. Mit etwas Glück kann ich ihm sogar eine Mondfinsternis präsentieren – wenn die runde weiße Scheibe hinter der Gondel eines Windrads verschwindet und dessen Flügel langsam magische Schatten über das belgische Land senden; ein sehr kurzes, überaus erhabenes Ereignis.
Lautes Bellen zerreißt die Stille.
Linus und Marcel stehen neben meinem Whirlpool. Nicolina erwacht und flattert wie trunken aus ihrem Verschlag. So kläglich wie ihr Schnattern gestaltet sich ihr Versuch, auf den Rand des Whirlpools zu springen. Sie kippt um. Linus stellt sofort das Bellen ein und nähert sich der Gans, die seine Annäherungsversuche bisher abgelehnt und ihn meistens verscheucht hat. Er stupst das kranke Tier mit der Schnauze an. Mir bleibt das Herz stehen. Wird er sich jetzt für die Demütigung rächen? Nicolina rappelt sich mithilfe von Kopf und Flügeln mühsam hoch und spreizt in Zeitlupentempo das Gefieder. Die Tiere beäugen sich. Was ich sehr beängstigend finde. Adrenalin fließt auch durch den Körper einer kranken Gans und kann bestimmt die wurmbedingte Schwäche vergessen lassen. Ich muss meinen Hund schützen. Oder vielleicht doch eher die arme Gans?
»Ich habe verstanden«, sage ich so resigniert wie ein FDP-Politiker nach verlorenen Landtagswahlen und stelle mich im Whirlpool auf, um augenblicklich einzugreifen. Anstatt Marcel von einer luxuriösen Annehmlichkeit zu überzeugen, muss ich dem Duell der Tiere unter dem Eifeler High Moon zuvorkommen.
»Nein«, sagt Marcel leise. »Bleib drinnen.«
Nicolina streckt den Kopf vor, öffnet den Schnabel, zischt aber nicht. Ich halte den Atem an. Linus fiept. Genetisch ist er zur Hälfte als Kampfhund gelistet, aber nicht einmal im Spiel ist er bislang je aggressiv geworden. Er weiß nicht, was in ihm steckt. Was aber, wenn das plötzlich doch herauswill? Wenn der Anteil des Staffordshireterriers den des Labradors bezwingt? Wenn dieser der Gans den Hals durchbeißt? Wie kann ich mit Linus weiterleben, wenn er vor meinen Augen ein anderes Tier hinrichtet? In wenigen Tagen ist Sankt Martin, aber diese Gans käme mir auch nicht in den Ofen, wenn Linus etwas von ihr übrig lassen sollte.
»Sitz, Linus«, zische ich ihm zu. Erstaunlicherweise gehorcht der Hund. Er streckt sich sogar lang aus. Die Gans
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