Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
mitgefahren.«
»Und du nicht?« Ich bereue diese Frage augenblicklich.
Gudrun verzieht das Gesicht. »Daniel hat sich meine Orangentorte gewünscht«, presst sie hervor. »Außerdem muss ich Regine nicht tot sehen. Aber den Hund, den haben sie mitgenommen!«
»Du weißt doch, wie gern Linus Auto fährt«, sage ich tröstend. Ich verstehe ja, dass Vater und Sohn Gudrun bei diesem Anlass nicht dabeihaben wollten, aber jetzt muss ich die Scherben wegräumen, oder besser gesagt die Sauerei mit ihrer Orangentorte. Dieser Tag hat für Gudrun gar nicht gut angefangen.
Sie erzählt mir, dass Regine nächste Woche auf dem kleinen Friedhof der Kehr beerdigt werden soll. Daniel habe es sich so gewünscht.
»Vielleicht solltest du schon mal mit dem Pfarrer über die Trauerrede sprechen«, schlage ich vor. »Deine Männer sind dir bestimmt dankbar, wenn sie sich jetzt nicht darum kümmern müssen.«
Ein kleines Leuchten schleicht sich wieder in ihre Augen.
»Gute Idee.« Eilig stellt sie den Schrubber weg und greift zum Telefon.
»Warte. Regine hat doch bestimmt noch irgendwo Familie?« Ich weiß nur, dass ihre Eltern tot sind. Wie die von uns allen, bis auf Heins und Davids Mütter.
»Einen Bruder«, antwortet Gudrun und beginnt zu wählen. »Aber mit dem war sie übers Erbe total zerstritten. Außerdem wohnt der in der Schweiz.«
»Trotzdem sollte man ihn informieren.«
Sie winkt ungeduldig ab, holt tief Luft und rattert ins Telefon: »Einen gesegneten guten Morgen, sehr geehrter Herr Pastor, hier spricht die Gudrun Arndt. Sie wissen ja, dass bei uns etwas ganz Trauriges passiert ist …«
Ich verlasse die Küche und gehe erst mal duschen.
»Darf ich dein Auto holen?«, fragt sie, als ich im Bademantel zurückkehre.
Ich deute zum Schlüssel auf der Anrichte.
»Na, dann werde ich es mal frei schöppen«, seufzt sie.
»Nicht nötig«, sage ich nach einem Blick aus dem Fenster. Im Dämmerlicht des Morgengrauens kann ich erkennen, dass es seit meiner Rückkehr in der sehr frühen Stunde nicht mehr geschneit hat.
Sie stellt sich neben mich ans Fenster.
»Wieso liegt auf deinem Auto kein Schnee?«, ruft sie empört. »Wo der doch die ganze Nacht runtergekommen ist!« Misstrauisch sieht sie mich von der Seite her an. »Ist ja ein Ding, Katja! Dann musst du ja noch vor mir aufgestanden sein. Warum? Wo warst du?«
»Das willst du gar nicht wissen«, sage ich jetzt tatsächlich. Das Duschen hat mir die Müdigkeit aus den Knochen nicht vertrieben. Ich sehe immer noch hypnotisierende Schneeflocken auf meine Windschutzscheibe zutanzen.
»Geh zum Pfarrer, Gudrun«, lenke ich ab und setze schnell hinzu: »Aber triff noch keine endgültigen Entscheidungen. Vielleicht hat Daniel spezielle Wünsche für die Trauerfeier. Ich lege mich jetzt wieder hin, muss noch eine Runde schlafen.«
Um weiteren Fragen auszuweichen, kehre ich sofort in die Hinterkammer zurück.
»Aber du kannst mir doch sagen, wo du warst!«, tönt mir Gudruns Stimme hinterher, als ich mich auf mein Bett werfe und mir die Decke über den Kopf ziehe.
Ich war in Buchet.
Weil mich die Sache mit dem Foto einfach nicht loslassen wollte. Vielleicht ist es ja wirklich eine Glaubenssache, denn ich kann in diesem Fall einfach nicht an einen Doppelgänger glauben. Zwischen fremden Menschen mag es sicherlich verblüffende Ähnlichkeiten geben, aber doch nicht bis zu so einem Detail wie dem seltsamen Zwillingsgrübchen in Hermanns Kinn. Ein Genvergleich mit Jakob Perings sollte hier sehr schnell Klarheit schaffen können. Aber da Marcel mit mir nicht einmal darüber reden möchte, beschloss ich, Hermann und Frieda zu besuchen.
Nach dem Routenplaner im Internet hätte ich die zwanzig Kilometer in spätestens einer knappen halben Stunde schaffen müssen, aber das Programm berücksichtigt natürlich weder Wetter- noch Straßenverhältnisse. Beide sorgten dafür, dass ich allein für die Hinfahrt mehr als eine Stunde brauchte. Da ahnte ich allerdings noch nicht, dass ich auf der Rückfahrt drei Stunden lang durch die weiße Hölle der Schnee-Eifel irren würde; menschenleeres Niemandsland, gekennzeichnet durch zugeschneite Schilder, auf denen im Sommer zu lesen war, dass diesen Wegen kein Winterdienst vergönnt sei. Ohne das Allradmonster wäre ich nie durchgekommen. Ich sandte einen Abschiedsgruß zu meinem alten Auto, das mich vor Jahren aus Berlin in die Eifel transportiert hatte und seit Tagen in der Werkstatt von Karl-Heinz steht. Er braucht es nicht mehr zu
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