Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
reparieren.
Buchet erwies sich als ein kleiner Ort, in dem die meisten Bewohner offensichtlich sehr frühzeitig zu Bett gehen, den wenigen erleuchteten Fenstern nach zu urteilen. Zunächst erwog ich, an einer Tür zu klingeln, um nach dem Haus der Kerschenbachs zu fragen. Aber dann lockte mich ein helleres Licht den Hügel hinauf.
Es kam aus der Kapelle, von der Regine so begeistert gewesen war. Sie hatte recht gehabt. Dies ist eine ganz andere Kirche als die sonst in Eifeldörfern übliche; weiß gestrichen, hochmodern mit viel Glas, nirgendwo rechte Winkel, dafür eigenwillige Rundungen, wie hingegossen. Alles unter einem flott geschwungenen Dach. In Form eines Buchenblattes, hatte mir Regine erzählt, aber das konnte ich in der Nacht von unten nicht so recht erkennen.
Ein außergewöhnliches katholisches Gotteshaus, von überwältigend sympathischer Schlichtheit. Ich stieß die Holztür auf und trat in einen Vorraum, wo ein grauhaariger Herr gerade Gläser in einen Karton packte. Er begrüßte mich höflich.
»Sie können sich gern unsere Kirche ansehen«, sagte er, »aber ich möchte in fünf Minuten zumachen. Dauert eben, bis nach so einem Vortrag alles aufgeräumt ist.«
»Vortrag?«, fragte ich überrascht. »Was für ein Vortrag?«
»Heute war Karl der Große dran. Ein Mann vom Geschichtsverein aus Prüm hat einen Vortrag über die Karolinger gehalten, und dann hat eine Schriftstellerin aus ihren historischen Romanen gelesen.«
»Aber das hier ist doch eine Kirche?«
»Unsere eigene Kirche«, antwortete der Mann stolz. »Wir vom Dorf haben sie gebaut. Und wir müssen sie unterhalten. Deshalb machen wir solche Veranstaltungen. Die Frau hat ihre Bücher ganz gut verkauft.«
»Profane Literatur?«, fragte ich ungläubig. »Die verkaufen Sie in der Kirche? Was sagt denn Ihr Bischof dazu?«
Lachend räumte er weitere Gläser in Kisten.
»Zum Glück gehören wir nicht zu Köln. Kommen Sie etwa von da?«
»Nein«, antwortete ich und betrat den Kirchenraum mit der riesigen Fensterfront und einer sehr massiven Holztreppe, die ins Gebälk der Empore führte. Staunend musterte ich eine etwa fünf Meter hohe schlanke Holzskulptur neben dem Tisch, der den Altar markierte. Eine Plastik, die ich eher in einer Ausstellung von Künstlern der Dritten Welt verortet hätte als in der Kirche eines winzigen Eifeldorfs. Keine Ahnung, wen oder was dieses gewaltige Holzbildnis symbolisiert, aber es ist zum Niederknien.
Stattdessen setzte ich mich erst mal auf einen Stuhl. Ich bin schließlich nicht katholisch, war dafür aber sehr erschöpft von einer Fahrt, auf der meiner Windschutzscheibe unentwegt Schneeflocken entgegengewirbelt waren. Sie schienen mir das Chaos in meinem Kopf zu symbolisieren. Irgendwie muss ich meine Gedanken wieder ordnen, um den Kerschenbachs die richtigen Fragen zu stellen. Und wo könnte man sich besser sammeln als in einer Kirche?
»Wollen Sie noch länger bleiben?«, fragte der freundliche Herr.
Ich erkundigte mich nach der Plastik.
»Erkennen Sie, wer das sein soll?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Da sind Sie nicht die Einzige«, fuhr er fort. »Manchen im Ort ist sie zu modern, unsere heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute. Hier wurde früher Bleierz gefördert, daher. Also, soll ich Ihnen den Schlüssel hierlassen?«
»Nein, danke«, antwortete ich, stand auf und fragte ihn, wo die Kerschenbachs wohnten.
Nachdem er das Licht ausgeknipst und die Kirche abgeschlossen hatte, trat er mit mir vors Gebäude, wies die Straße hinunter und beschrieb mir das Haus.
Das Licht meiner Autoscheinwerfer erfasste das Heck des Setras im Hof. Ich zog kurz an der Glockenschnur neben der Tür. Augenblicklich begannen ein paar Hunde in der Nachbarschaft zu bellen.
Frieda öffnete.
»Katja!«, sagte sie atemlos und stützte sich auf eine Krücke. »Ist der Hermann bei dir?«
»Nein«, antwortete ich verblüfft. »Wieso?«
»Er ist weg«, sagte sie aufgeregt. »Einfach verschwunden. Ich habe solche Angst!«
Ihre Augen waren gerötet, und ihre Hände zitterten.
Ich folgte ihr in ein sehr dicht möbliertes Wohnzimmer.
»Seit wann ist er weg?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Guten Abend …«, ertönte eine sonore Stimme. Konrad Meissner schälte sich aus einem Sessel.
Rasch suchte ich hinter einem ausladenden Sofa Deckung vor allzu herzlicher Begrüßung.
»Guten Abend, Frau Katja, wenn man das an einem solchen Abend überhaupt sagen darf.« Er
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