Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
»Niemand wird sterben, Frau Schröder! Und Sie gehen auf keinen Fall in diesen Bus.«
»Oh doch!«, sagt sie. »Ich kann Jakob da drinnen nicht allein lassen.«
»Nach unserer Zählung hat Hermann vierzehn Geiseln«, melde ich mich. »Aber vielleicht haben wir nicht alle erfasst. Gut möglich, dass ein paar Männer in der Eisenbahnausstellung gegenüber waren. Oder ein paar Frauen in der Krippana. Die könnten wir dann gegen Frau Schröder austauschen.«
»Genau«, sagt diese von hinten, greift nach vorn und erwürgt mich vor lauter Zustimmung fast auf dem Beifahrersitz. In dem Moment, als Marcel scharf bremst.
Nicht hundert, sondern etwa zwanzig Meter vor dem entführten Kaffeefahrer-Bus.
Tiefschwarze Vorhänge. Hätte Marcel das erwähnt, wäre mir sofort klar gewesen, dass die frisch angebracht worden sind. Nie im Leben hätte ich schwarze Vorhänge an den Fenstern eines Busses aus den Endfünfzigern übersehen, aus der Zeit von Streublümchen auf Beige.
Hinter uns sehe ich wildes Gestikulieren. Wir haben die Bannmeile, die Absperrung der Polizei, durchbrochen. Eine ganze Division ist hinter uns. Wir befinden uns an vorderster Front.
»Faites marche arrière!« , erklingt es aus einem Megafon. »Il y a eu des coups de fusil dans le bus.« Und dann das Ganze auf Deutsch: »Kehren Sie um. Es ist im Bus geschossen worden. Wir wissen nicht, ob da …«
Die Stimme verliert sich.
Marcel ist aus dem Wagen gestürzt und hat sich neben dem Setra aufgebaut.
»Hermann!«, ruft er. »Wir sind da! Lass endlich die Leute raus!«
So schnell habe ich noch nie ein Fahrzeug verlassen und zwanzig Meter zurückgelegt. Schwer atmend stehe ich neben Marcel. Und dann glaube ich zu träumen. An einem Fenster wird der schwarze Stoffstreifen zur Seite geschoben und enthüllt das Gesicht jener Kaffeefahrerin, die in meinem Lokal ausschließlich Eierlikör bestellt. Dass sie mir jetzt eine Flasche Wein prostend entgegenhält, schockiert mich weit weniger als ihre Miene. Die Frau lacht!
Was Marcel nicht sieht. Er starrt auf die einzige Tür auf dieser Seite des Busses.
»Komm schon, Hermann«, schreit er. »Ich hab kalt und will rein. Frier mir hier fast den Arsch ab!«
Der Vorhang ist wieder gefallen. Ich muss mir das vergnügte Gesicht der Eierlikörfreundin eingebildet haben. Schließlich können Extremsituationen die Wahrnehmung empfindlich trüben. Geiseln haben nichts zu lachen. Sie fürchten um ihr Leben, sehen verschreckt, verzweifelt, entgeistert, todesmutig oder verkniffen aus; all dies haben mich Filme und Berichte über Geiselnahmen gelehrt.
Wir können Stimmen im Bus hören, aber nichts verstehen. Weil drinnen jetzt sehr laute Musik läuft. Die Bee Gees.
»Das kenne ich«, sagt Jakob Perings erstaunt. »Das ist mein Lebenslied. Wie schön.«
Die Tür öffnet sich.
Eine Frau mit einer Einkaufstasche steht schwankend auf dem Treppchen. Marcel hilft ihr hinaus und widmet sich dann gleich der zweiten Aussteigerin, einer zierlichen alten Dame, die ihm eine prall gefüllte Plastiktüte entgegenhält.
»Können Sie das entsorgen, Herr Polizist? Wir wollen unseren Müll ja nicht im Bus zurücklassen.«
Es klirrt laut, als Marcel die Tüte einfach in die Böschung wirft und dann die protestierende Frau hinunterhebt und auf den Boden stellt.
Was er bei der nächsten Passagierin unterlässt. Sie hat etwa mein Format, blickt mich unbekümmert an und sagt: »Schade«, als ich sie in Empfang nehme. Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Als würde man sie zwingen, vor der Verkündigung des Hauptgewinns eine Lotterieveranstaltung zu verlassen. Ich befinde mich eindeutig im falschen Film.
»Restaurant Einkehr «, rufe ich den Männern der Sondereinheit zu, die inzwischen ein Stück weit näher gerückt sind. »Da sollen sie sich alle sammeln, hat Polizeiinspektor Langer gesagt. Zu essen und trinken gibt es da auch. Und einen Pastor.«
»Endlich Eierlikör«, sagt die vierte Frau und nickt mir fröhlich zu. »Wein bekommt mir auf Dauer nicht.«
Marcel ist eingestiegen. Und hilft von innen den nächsten vier Passagieren hinaus. Alle sind bester Dinge. Die Stimmung erinnert mich sehr an die jenes Tages, an dem die Knochen von Siegfried Perings in meinem Haus zutage gefördert worden sind. Überleben durch Erleben.
Marcel winkt mir zu. Ich soll einsteigen.
Auf dem Busfahrersitz hält Hermann seine Flinte im Anschlag. Ich tippe auf den Kolben.
»Muss das sein?«, frage ich ihn und lasse mich gleich hinter ihm
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