Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
hier. Als Kind. Da bin ich jetzt ziemlich sicher. Alle aussteigen.«
Niemand rührt sich. Jakob Perings dreht sich zu ihm um.
»Also doch«, murmelt er. »Ich habe mir schon so was gedacht.«
Im Gang fuchtelt Hermann mit seinem Gewehr herum. »Rein ins Haus! Du steigst als Erste aus, Katja. Mach die Tür auf und dich so breit, dass die Polizei hinter uns nicht schießen kann. Schnell!«
Klar, eine bessere menschliche Deckung als mich hat er nicht im Bus. Also drücke ich die Tür auf, springe hinaus und fummele in der Tasche meines Wintermantels nach dem Schlüssel.
»Wieder mal nicht abgeschlossen«, erinnert mich Marcel, der hinter mir ausgestiegen ist. »Daniel war doch drinnen.«
Wie wir jetzt alle auch. Sehr schnell.
»Daniel. Regines Sohn«, sagt Hermann und bleibt im Flur stehen. »Der ist hier?«
»In der Einkehr «, antworte ich. »Bei den anderen.«
»David und Gudrun?«
»Ja, und Hein und Jupp.«
»Brauche ich nicht. Aber Daniel soll rüberkommen.«
Ich halte es für keine gute Idee, dem Jungen völlig unvorbereitet den Mörder seiner Mutter vorzustellen.
»Daniel ist sehr sensibel«, sage ich abwehrend.
»Ich weiß. Alles über ihn. Genau deshalb soll er hier sein. Er muss wissen, was mit seiner Mutter passiert ist. Damit es ihm nicht so geht wie mir.«
Endlich meldet sich Frieda. Sie lehnt an der inzwischen geschlossenen Tür. Ihr Gesicht ist kalkweiß.
»Hermann«, sagt sie tonlos. »Du bist krank.«
Sie hat recht. Das ist die einzig vernünftige Erklärung.
»Wir sollten einen Arzt kommen lassen«, sagt Konrad Meissner. »Schon wegen deinem Fuß, Hermann.«
Ich deute auf eine Tür. »Den können Sie doch versorgen, Herr Meissner. Da im Badezimmer ist Verbandsmaterial, Jod und alles, was Sie sonst noch brauchen. Sonst holt sich Hermann noch eine Blutvergiftung.«
Der betagte Medizinstudent, der bereit war, das Herz eines alten Mannes wiederzubeleben, ist am Problem eines angeschossenen Fußes offensichtlich wenig interessiert. Marcels Telefonat mit den Kollegen draußen vor meiner Tür ist entschieden spannender. Die Sondereinheit hat inzwischen mein Haus umzingelt und fordert Informationen an, so viel können wir verstehen. Marcel winkt uns zu, Hermann zu folgen, der die Wohnzimmertür bereits geöffnet hat.
»Setzt euch«, sagt Hermann und weist auf meine ererbten wuchtigen Polstermöbel in belgischen Eichenrahmen. Wir sehen einander unschlüssig an und bleiben stehen, bis Marcel ins Zimmer getreten ist.
»David will auch mitkommen«, sagt er. »Bist du einverstanden, Hermann?«
Der nickt. »Es ist gut, wenn man einen Vater hat.«
»Unserer ist leider tot«, meldet sich Frieda. Sie lässt sich stöhnend auf der Sofakante nieder. Ihre Krücke hat sie im Bus vergessen. Konrad Meissner breitet sich im Sessel neben ihr aus. »Ich konnte dir vielleicht ein bisschen die Mutter ersetzen, Hermann, den Vater aber leider nicht.«
Frieda rückt zur Seite, als Petronella Schröder Jakob Perings auf das Sofa hilft. Da, wo Hermann vor erst einer Woche gesessen hat. Mit Regine, die seiner Schwester gegen die Kälte fürsorglich jene Mohairdecke umgelegt hat, die zu ihrem eigenen Leichentuch geworden ist.
Ich bleibe stehen und schließe alle Knöpfe meines Wintermantels. Mich fröstelt.
Die Heizung ist ausgestellt. Es gibt keinen Kamin, in dem Feuer gemacht werden könnte. Nur ein Loch in der Wand. Auf das Hermann jetzt deutet. Mit der anderen Hand stützt er sich auf seinem Gewehr ab.
»Das habe ich schon mal gesehen«, sagt er. »Diese Wand und das Loch.«
»Natürlich«, sagt Frieda. »Letzte Woche. Als wir bei Katja zum Kaffeetrinken waren.«
»Nee, nee, vor ganz langer Zeit. Ich habe gedacht, es ist nur ein böser Traum. Aber letzte Woche habe ich alles wiedererkannt. Die Wand. Das Loch. In meinem Traum ist es nicht so groß wie jetzt, da war es schon fast ganz zugemauert. Aber immer noch groß genug, für mich hineinzustecken. Ich bin ja noch so klein. In meinem Traum. Mich muss man da nicht durchquetschen wie den Erwachsenen. Ich habe Angst, dass ich in dem Loch da auch für immer verschwinde.« Hermann redet jetzt sehr schnell. »Der Traum war lange Zeit weg. Ist seit einer Woche wieder voll da. Fast jede Nacht. Macht mich verrückt.«
Wir nicken alle zustimmend. Hermann ist tatsächlich nicht mehr bei Sinnen.
»Ich will nicht mehr schlafen«, sagt er. »Habe meine Regine mit meiner Angst genervt. Ihr gesagt, dass das nicht nur ein Traum ist. Dass da …« Er klopft sich heftig
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