Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
lange nicht. Ich kann Gudrun nicht ansehen. Ihr nervöses Kopfschütteln macht mich ganz schwindlig.
»Hermann? Bist du noch dran?«, fragt Marcel schließlich.
Am anderen Ende wird geräuschvoll Luft eingesogen. Aha, der Inhalator. Danach kommen schwer verständliche Worte: »Ja. Noch jemand. Herr Perings. Der muss auch dabei sein. Hol den bitte aus Krewinkel.« Hermann hustet kurz und setzt mit kräftigerer Stimme hinzu: »Dann lasse ich noch vier Leute raus.«
Jakob Perings nickt grimmig. Petronella Schröder fasst sich mit einer Hand an den Mund, mit der anderen ans Herz.
»Nein«, wehrt Marcel ab. »Das geht nicht, Hermann. Du weißt doch, dass Herr Perings ein schwaches Herz hat.«
»Ich habe Tabletten hier. Und die Musik. Du weißt schon. Es wird ihm nichts passieren. Ich verspreche …«
Mit schnellem Griff entreißt Jakob Perings Marcel das Telefon.
»Hermann, Jung!«, brüllt er hinein. »Was machst du da für Dummheiten?«
Wieder eine Pause. Der POSA-Mann an unserem Tisch flüstert in sein Gerät. Ich schnappe das Wort geistesgestört auf.
»Gut, dass Sie da sind, Herr Perings«, antwortet Hermann. »Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeit. Aber es ist sehr wichtig, dass Sie auch dabei sind.«
Marcel erobert das Telefon zurück. Petronella Schröder klammert sich an Jakob.
»Bei was, Hermann?«, fragt Marcel freundlich in den Apparat.
»Bei …«
Im Bus passiert irgendetwas. Dumpfe, undefinierbare polternde, abgehackte Geräusche. Eine Frau schreit. Dann fällt ein Schuss. Und die Verbindung ist wieder unterbrochen.
Entsetzen steht uns jetzt allen in den Gesichtern. Der Mann von der Sondereinheit ist mit dem hochrangigen Polizisten bereits aus dem Restaurant gerannt. Der Zivilist klappt sein Notebook zu.
Marcel springt auf.
»Wir fahren sofort hin. Schnell, Katja.«
»Ich komme mit«, sagt Jakob und reißt sich von Petronella Schröder los.
»Nicht ohne mich«, erklärt sie und ist erstaunlich flink noch vor uns an der Tür.
»Und wir?«, schreit Gudrun.
»Bleibt beim Telefon«, befiehlt Marcel. »Wenn er noch mal anruft, dann sagt ihm, dass wir direkt da sind.«
»Und hol unbedingt den Pastor!«, rufe ich hinterher.
»Oh Gott, die Letzte Ölung …«, höre ich Gudrun keuchen.
»Moment«, sage ich zu Marcel und stecke meinen Kopf noch mal in den Gastraum: »Höchstens für das Hackfleisch, Gudrun! Pastor May soll mit den Senioren Eintopf essen! Wenn er den denn mag. Und mach das Krisenkonfekt fertig!«
Kann nicht schaden, mit meiner speziellen Nervennahrung aus Schokolade, Datteln, Mandeln, Ingwer, Chili und Kokosnuss den Glückshormonen der Freigelassenen einen Schub zu versetzen. Außerdem muss Gudrun dringend beschäftigt werden. Sonst dreht die auch noch durch.
Wie Hermann. All seinen Vorbereitungen zum Trotz halte ich seine Busentführung immer noch für eine Kurzschlussreaktion.
Angst habe ich nicht. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Hermann wirklich fähig ist, den Menschen in seiner Gewalt Böses anzutun. Schnell verdränge ich Erinnerungsfetzen, die sich aufdrängen. Von dem Mann, der seine Familie bestialisch ausgelöscht hat. Das war ein richtig netter und hilfsbereiter Nachbar. Von dem Serienmörder, der einem Mädchen in Äthiopien eine Niere gespendet hat; von all den Schwerverbrechern, denen die Menschen in ihrer Umgebung nie im Leben zugetraut hätten, im Supermarkt auch nur Nordseekrabben oder einen eingeschweißten Räucheraal zu klauen.
Nein, ich habe keine Angst. Aber ich bin zutiefst erschrocken.
Es kann nur einen Grund für Hermanns Verzweiflungstat geben: Er ist schuld an Regines Tod. Er hat seine große Liebe in einem Wutanfall erschlagen und jetzt nichts mehr zu verlieren. Aus irgendeinem Grund braucht er eine große Bühne, um sich zu erklären. Mit seinem zweiten Alibi, davon bin ich jetzt überzeugt, muss er Marcel einen fulminanten Bären aufgebunden haben.
»Kompliment, Katja«, sagt Marcel, als er die Straße Richtung Prüm, die wir zur Rennbahn erklärt haben, offiziell als solche nutzt, »Erwin hat mir das von den Vorhängen erzählt. Sehr aufmerksam von dir. Und dann habe ich noch ein paar andere Sachen zusammengezählt.«
Er wird Anja mindestens einen ausgeben müssen.
»Aber warum tut er das nur?«, fragt Herr Perings. »Warum in Gottes Namen entführt dieser liebe Kerl seinen eigenen Bus voller unschuldiger Passagiere?«
»Wenn wir zusammen sterben …«, beginnt Petronella Schröder, aber Marcel unterbricht sie harsch:
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