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Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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»Vor der Schule musste ich melken und Brot backen, danach eure Wäsche machen, putzen, auf dem Feld und im Garten arbeiten. Weißt du das denn nicht mehr?«
    Eines Juniabends habe seine Mutter sie gezwungen, im Vorgarten zu jäten. Ein Gewitter hing in der Luft. Der Pfarrer sei vorbeigekommen und habe ihr geraten, schleunigst ins Haus zu gehen.
    »Aber ich habe mich nicht getraut. Weil die Arbeit noch nicht fertig war und ich dann wieder Schläge kriegen würde.«
    Das konnte sie dem Pfarrer natürlich nicht sagen. Also beachtete sie ihn nicht und arbeitete einfach weiter. Da nahm er sie am Arm und schleppte sie ins Haus.
    »Weißt du, was deine Mutter dem Pastor gesagt hat, Jakob?«
    »Ich kann es mir denken«, sagte Jakob finster. »Ich glaube, ich erinnere mich sogar an diesen Vorfall. Weil meine Mutter furchtbar über deine Undankbarkeit geschimpft hat und trotz der vielen Arbeit, die sie hatte, eine Zeit lang jeden Sonntag zur Kirche gegangen ist. Sonst war sie nicht sehr fromm.«
    »Nein«, sagte Frieda. »Nächstenliebe kannte sie nicht. Sie hat dem Pfarrer gesagt, sie hätte mir verboten, bei dem Wetter rauszugehen, aber ich würde ja nicht auf sie hören. Vor seinen Augen hat sie mir eine Ohrfeige gegeben. Und mich windelweich geschlagen, als er weg war.«
    »Meine Mutter hatte ein schweres Leben«, sagte Jakob. »Als Witwe mit all der Verantwortung für einen Hof. Ich war keine große Hilfe.«
    »Aber du hast mir einmal ein Brot mit Marmelade zugesteckt. Ganz dick mit Butter bestrichen, sodass man die Zähne sehen konnte, wenn man davon abbiss. Ich habe es sehr langsam gegessen. Natürlich heimlich, damit deine Mutter das nicht mitkriegt.«
    Jakob Perings schlug die Hände vors Gesicht.
    »Ach, Elisabeth, warum hast du damals denn nichts gesagt?«
    »Wem denn? Für euch war das doch alles normal. Aber es gab noch was Schönes. Ich schlief in der Dachkammer. Die hatte eine Luke. Wenn ich mich auf den Hocker stellte und sie öffnete, konnte ich rausschauen. In die Ferne. Da wartete irgendwo eine bessere Zukunft auf mich. Im Sommer hatte ich vom Bett aus beim Aufwachen den Blick auf den Himmel. Das war Freiheit für mich.«
    Die ihr Jakobs Mutter nicht zugestehen wollte.
    »Sie kriegte einmal mit, wie ich dem Nachbarjungen vom Dach aus zuwinkte, und schickte Siegfried mit ein paar Brettern nach oben, für die Luke dicht zu nageln.«
    Und da geschah es. Der jüngste Sohn des Hauses fiel über die inzwischen knapp dreizehnjährige Frieda her. Danach zimmerte er ihr den Himmel zu.
    Als sich ihr Bäuchlein rundete, schickte Jakobs Mutter Frieda mit einem bösen Brief ins Waisenhaus zurück. Von dort kam sie in ein Heim für werdende Mütter. Nach der Entbindung sollte ihr Kind zur Adoption freigegeben werden. Frieda wurde dazu nicht einmal befragt. Sie spürte das Leben in sich heranwachsen und begrüßte es. Endlich ein Geschöpf, das zu ihr gehörte. Für das sie leben könnte und das sie lieben würde. Sie verdrängte die Erinnerung an die Vergewaltigung, freute sich darauf, ganz aus sich selbst heraus ein bisschen Familie erschaffen zu können. Die durfte ihr niemand fortnehmen. Also riss sie aus, kurz bevor die ersten Wehen kamen. Sie lebte auf der Straße, stahl sich ihr Essen zusammen und übernachtete bei Regen in verlassenen Bunkern.
    Hermann kam bei Sonnenschein zur Welt; hinter einem Gebüsch an der Höckerlinie nahe Losheim.
    Frieda wäre wohl verblutet, wenn nicht zufällig eine junge Krankenschwester vorbeigekommen und ihren Schrei gehört hätte.
    »Meine Helga«, seufzte Konrad Meissner. »Die hat dir und Hermann das Leben gerettet.«
    Und sie zu ihren Eltern nach Hallschlag gebracht; einer Familie Klein, die einen kleinen Lebensmittelladen führte, aber in diesen Zeiten selber fast am Hungertuch nagte und nicht in der Lage war, auf Dauer eine fremde Mutter und ihr Kind durchzufüttern.
    »Das kann nicht sein«, sagte ich erschüttert, als Frieda an dieser Stelle ihrer Geschichte angelangt war. »Das waren meine Großeltern. Meine Mutter hatte keine Schwester.«
    »Bist du sicher?«, fragte Marcel und brachte mir damit in Erinnerung, wie wenig ich über meine Herkunft weiß. Meine Mutter hatte mir nie etwas über ihre Familie erzählt. Woher sie stammte, habe ich erst nach ihrem Tod erfahren und mich damals sofort auf die Suche nach meinen Eifeler Wurzeln begeben. Als einige freigelegt worden waren und sich immer tiefere menschliche Abgründe auftaten, wendete ich mich mit Schaudern ab und

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