Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
verzichtete auf jegliche weitere Ahnenforschung.
»Doch, die Kleins hatten ein zweites Mädchen«, meldete sich Jakob Perings. »Die hatte ich ganz vergessen. Ich kann mich nicht erinnern, sie je gesehen zu haben.«
»Weil sie verstoßen wurde, als sie mich heiraten wollte«, gab Konrad Meissner grimmig zurück. »Für die Kleins war ich ein Krimineller. Da hatten die plötzlich nur noch eine Tochter, Ihre Mutter Anna, Frau Klein. Und die hatte einen besonderen Draht zur Familie Christensen auf der Kehr, wie Sie ja wissen.«
Ja, aus diesem Draht bin ich hervorgegangen. So viel weiß ich immerhin. Konrad Meissner gestand, schon am ersten Tag geahnt zu haben, dass ich seine angeheiratete Nichte sein könnte.
»Weshalb haben Sie denn nichts gesagt?«, fragte ich fassungslos.
»Es gibt ja so viele Kleins in dieser Gegend«, wich er aus. »Ich wollte mir die Illusion bewahren. Ein Stückchen Helga wiederzufinden … dem konnte ich einfach nicht widerstehen. Deshalb, Frau Klein …«
»Deshalb sollten wir jetzt wieder zur Sache kommen«, unterbrach ihn Marcel erstaunlich freundlich.
Frieda musste ihren Unterhalt bei meinen Großeltern verdienen. Konrad Meissner verschaffte der inzwischen Vierzehnjährigen neue Papiere, in denen er als Vormund für die Geschwister Frieda und Hermann Kerschenbach aufgeführt wurde. Frieda machte er zwei Jahre jünger, was nicht auffiel, da sie mit ihrem Puppengesicht sehr kindlich aussah. So konnte sie gerichtlich nicht belangt werden, wenn sie beim Kaffeeschmuggel erwischt wurde.
Meine Mutter stellte den Kontakt zu den Christensens her, bei denen sie im Haushalt gelegentlich aushalf. Mein Halbbruder Gerd wurde Hermanns Spielkamerad.
»Hatte ich also recht mit den Papieren«, sagte Marcel befriedigt und winkte ab, als Konrad Meissner anmerkte, er habe aus Menschlichkeit gehandelt. Damit Frieda ihren Sohn bei sich behalten konnte, wenn auch offiziell als Bruder. Zudem sei die Sache ohnehin längst verjährt.
»Wie kamen Sie auf Radevormwald?«, warf ich ein.
»Hatte ich zufällig Gebührenmarken von und Stempel vom Standesamt«, erklärte er. »Und war schön weit weg, kannte hier keiner. Nachfragen waren damals komplizierter.«
»Warum heiße ich Kerschenbach?«
Hermanns Frage schreckte uns alle auf. Der Mann, der am Nachmittag mit der Entführung seines Busses Polizisten aus Belgien und zwei Bundesländern auf die Beine gebracht hatte, war die ganze Zeit reglos in seinem Sessel sitzen geblieben. Und dann meldete er sich mit so einer Frage?
Wir waren alle zusammengezuckt, als Frieda beim Leben ihres Sohnes geschworen hat. Der Sohn nicht. Ich dachte, dass er alles ausgeblendet hatte, was nicht mit dem Tod von Regine zusammenhing, aber ich irrte mich. Hermann war nicht fähig, sich zu rühren oder irgendetwas zu sagen. Das von Frieda errichtete Lügengebäude seines Lebens war über ihm eingestürzt. Die Trümmer hatten ihn verschüttet und sprachlos gemacht.
Er war dabei, seinen Kampf um die Wahrheit zu gewinnen. Aber zum Preis der eigenen Identität. Die er in seinem Namen manifestiert gesehen hatte, die aber mit jeder weiteren Offenbarung immer schwammiger wurde.
»Ich sah das Ortsschild und fand den Namen schön«, antwortete Frieda. »Hättest du lieber einen anderen gehabt?«
»Wer bin ich? Wie heiße ich?«
»Du bist Hermann«, flüsterte Frieda, »mein Sohn.«
»Was passierte auf der Kehr am Tag, bevor Losheim deutsch wurde?«, fragte Marcel. Der Polizeiinspektor brauchte keine Sentimentalitäten, sondern Tatsachen.
Die Frau meines Vaters hatte Frieda gebeten, im Haus zu bleiben und sich um den Sohn zu kümmern, weil sie für das Großereignis die Kirche in Losheim schmücken wollte. Frieda stand am Herd und bereitete für meinen Halbbruder Gerd und ihren Sohn Hermann Waffeln zu, als sich die Tür öffnete und der Briefträger eintrat.
»Ist es nicht gruselig«, frage ich Daniel, als ich die Masse aus altem eingeweichten Brot, Zucker, geriebenen Möhren und Äpfeln knete, »dass der Briefträger genau hier erschlagen worden ist?«
»Mit demselben Waffeleisen wie meine Mutter nebenan«, sagt der Junge tonlos und bearbeitet die Eier mit dem Schneebesen so intensiv, als seien sie nie Keimzellen für Kreaturen gewesen.
Im Halbdunkel der Küche erkannte Frieda ihren Peiniger in der Verkleidung des Briefträgers nicht sofort. Erst als er seine Tasche abwarf und sich auf sie stürzte. Sie ließ das Waffeleisen fallen, hörte, wie die Kinder nebenan Ich sehe was, was du
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