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Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)

Titel: Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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nicht siehst spielten, und versuchte verzweifelt, sich ihrer Haut zu erwehren. Aber Siegfried ließ sich nicht abschütteln.
    »Hab dich nicht so; du willst es doch auch«, sagte er. »Ist doch nicht das erste Mal.« Er riss ihr die Bluse auf, griff ihr unter den Rock und warf sie auf den Küchenboden.
    »Und dann …«, sagte sie zu uns und brach ab.
    »… und dann kamen wir in die Küche!« Hermann sprang auf. »Jetzt weiß ich es wieder! Ich sehe es genau vor mir. Wie du am Boden liegst und schreist. Der andere Junge und ich! Wir haben das Waffeleisen vom Boden aufgehoben und auf den Einbrecher eingeschlagen!«
    »Nein, Hermann. Ihr habt nebenan weitergespielt. Ihr habt überhaupt nicht gemerkt, was in der Küche passiert ist.«
    »Nein, nein!« Hermann geht vor Frieda in die Hocke und greift nach ihren Händen. »Du verstehst nicht! Alles ist wieder da. Weißt du das denn nicht mehr? Gerd hat einen Griff genommen, ich den anderen. Und dann haben wir mit dem Waffeleisen so lange zugeschlagen, bis sich der böse Mann nicht mehr bewegt hat. Mein Gott …«
    Er lässt Friedas Hände los, fällt auf den Hosenboden und starrt entgeistert zu Jakob Perings hinauf. »Ich war es! Ich habe diesen Siegfried erschlagen! Mein Gott! Es tut mir so leid!«
    Jakob Perings schüttelt den Kopf.
    »Hermann, du warst vier Jahre alt«, sagte er leise. »Da hättest du meinen Bruder gar nicht erschlagen können. Vier Jahre! Ein kleines Kind!«
    »Genau«, bestätigte Frieda. »Das bildet er sich jetzt nur ein. Ich habe zugeschlagen. Das Waffeleisen lag neben mir am Boden. Ich musste nur zugreifen. Und genau das habe ich getan.«
    Hatte sie das nicht soeben beim Leben ihres Sohnes abgestritten? Weshalb das plötzliche Geständnis?
    Ich sehe das Waffeleisen vor mir. Die langen, leicht gebogenen Griffe, die Schwere der Vierecke an deren Ende. Die Unhandlichkeit. Hätte eine Frau, die mit dem Rücken auf dem Boden lag, ein solches Gerät überhaupt anheben und damit zuschlagen können? Wäre dies zwei fast fünfjährigen Jungen leichter gefallen? Und hätten diese dann wirklich die Kraft aufbringen können, einem Mann damit den Schädel einzuschlagen?
    Hermann barg sein Gesicht in den Händen. »Wir waren es«, schluchzte er. »Der Gerd und ich. Meine Erinnerung ist wieder voll da. Wir haben zugeschlagen. Wieder. Und immer wieder. Damit der Mann dich loslässt. Er hat geschrien. Mein Gott, ist das furchtbar! Ich habe einen Menschen getötet!«
    »Unsinn, Hermann. Das ist keine Erinnerung. Nur ein Albtraum.« Frieda rutschte vom Sofa, um den Sohn, der bis vor Kurzem ihr Bruder war, in die Arme zu nehmen. Ein Zucken flog über ihr Gesicht. Die kaputte Hüfte musste sie mindestens so schmerzen wie Hermann der Fuß. Beide gehbehindert, Mutter und Sohn, beide lebensbehindert durch ein Kriegsschicksal.
    »Du hast dir da was zusammengereimt, Hermann«, sagte sie und wog ihn wie ein kleines Kind in ihren Armen. »Denk doch mal nach. Zwei vierjährige Knaben können keinen ausgewachsenen Mann erschlagen!« Aus leeren Augen blickte sie flehentlich zu uns allen auf.
    »Das ist wirklich unmöglich«, bestätigte Jakob Perings. »Außerdem werden die Kinder meinen Bruder wohl kaum eingemauert haben können.«
    »Natürlich nicht«, entgegnete Frieda. »Aber er war tot. Und musste verschwinden. Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe ihn ins Wohnzimmer gezogen. Die Kinder haben mir geholfen. Die dachten, das gehört zu ihrem Spiel. Und da war das Loch in der Wand …«
    Sie drückte Hermanns Hände.
    » Das ist dein böser Traum. Wir drei haben den toten Mann durchs Loch gequetscht, und du musstest da auch noch mit rein! Das werde ich mir nie verzeihen!«
    Sie wusste, dass die letzten Steine am übernächsten Tag eingesetzt werden sollten, am Tag nachdem Losheim deutsch geworden war. Niemand würde später in all den Müll hineinsehen, mit dem die Wand schon seit Tagen verfüllt worden war, aber Frieda wollte auf Nummer sicher gehen. Sie hob den kleinen Hermann durch den Spalt und forderte ihn auf, den bösen Mann mit allem, was drin war, so zuzudecken, dass nichts mehr von ihm zu sehen war. Meinen Halbbruder Gerd stellte sie auf einen Hocker davor und leuchtete dann mit einer Lampe in das Loch hinein. Das ist unser neues Spiel, sagte sie den Kindern. Ein neues Spiel mit einem alten Namen.
    »Ich sehe was, was du nicht siehst«, murmelte Hermann. »Genauso war es. Und jetzt ist meine Regine tot. Weil wir damals einen Mann durchs Loch gequetscht haben.

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