Knochen-Mond
Welt irren können, so aber war es besser. Noch einmal schreckte er auf, als links von ihm das Wesen vorbeiflog, das in Llannonwelly als alter Mann lebte. Es gab ein kreischendes Geräusch ab, das sich anhörte wie ein hämischer Gruß. Dann war es verschwunden und nicht mehr zu sehen.
Suko hatte sich die Richtung eingeprägt. Es war dorthin geflogen, wo sein Ziel lag. Er konnte nicht sagen, daß ihm die Mauer Furcht eingeflößt hätte, viel schlimmer mußte das sein, was dahinter lag. Denn diese Geräusche hallten über die Krone der Mauer hinweg und trieben ihm den Schweiß auf die Stirn.
Nicht nur Schreien, nicht allein Ächzen und Jammern, auch dumpfe, hart klingende und pochende Laute, als wäre dort eine gewaltige Maschine dabei, irgend etwas in die Höhe zu pumpen.
Noch wurde ihm die Sicht durch die Mauer und auch durch das große Tor genommen. Aber Suko erkannte bereits die beiden Flügel, die durch einen mächtigen Querbalken zusammengehalten wurden. Wer würde ihm die öffnen? Aus eigener Kraft schaffte er das nicht. Es sei denn, es gab einen anderen Weg, um hinter die Mauer zu gelangen. Je näher er hinkam, um so hämmernder, dröhnender und pochender wurden die lauten Geräusche.
Das Mauerwerk selbst schien zu zittern. Von einigen Stellen fielen dicke, schwarze Tropfen nach unten, die wie Regen aussahen, der aus Teer bestand.
Suko hatte das Tor erreicht, blieb davor stehen, schaute sich den gewaltigen, baumstammdicken Riegel an, sah aber auch dicht neben dem Tor die glänzenden Haken, die in das dunkle Mauerwerk wuchtig hineingetrieben worden waren.
Sie führten bis zur Krone, die einen breiten Abschluß bildete. Dort wollte Suko hin. Er mußte einfach wissen, was hinter dem Hindernis lag.
Sehr dicht an der Wand kletterte er hoch. Bevor er auftrat, zog er mit beiden Händen an den provisorischen Stufen, um die Festigkeit zu prüfen. Manche bogen sich zwar durch, aber sie hielten. Suko schaffte den Weg.
Hinter dem dicken Gestein waren die Geräusche nicht leiser geworden. Das Rattern und Stampfen, unterbrochen von zahlreichen Schreien hörte einfach nicht auf.
Diese Maschine, oder was immer es war, mußte der reine Wahnsinn sein. Ebenso diese furchtbare Welt. Zu allem Überfluß veränderte sich noch der Himmel.
Suko sah es nicht sofort, weil er sich noch auf seine Kletterei konzentrierte, aber er merkte den bleichen Schein, der vor ihm über das Mauerwerk hin wegstrich. Auf halber Strecke hielt er inne und schaute hoch. Da stand er am Himmel.
Riesengroß, wie ein mit dem Zirkel gezogener bleicher Kreis. Ein Auge innerhalb der Schwärze, ein Ausschnitt des Schreckens. Blaß, glotzend, gefüllt mit den Schatten, die als große, graue Knochen ein Gesicht bildeten. Der Knochenmond!
Er mußte von einem Augenblick zum anderen erschienen sein und versorgte die Szenerie mit seinem nötigen Glanz, damit die Gestalten nicht durch das Dunkel irren mußten.
Ein unheimlicher Anblick, der aber — und das stand für Suko fest — in diese Welt hineinpaßte. Er empfand den Knochenmond nicht einmal als fremd, und errechnete auch damit, daß sein Eicht die Wesen dieser Welt als negative Energie beeinflußte.
Suko wartete nicht sehr lange. Auch er wurde von den Strahlen erwischt und spürte sie auf seiner Haut wie ein leichtes Brennen, als wäre eine Flamme darüber hin weggestri chen.
War das bei allen so? Oder nur bei ihm, dem Fremden. Vielleicht sorgte der Mond durch sein Licht dafür, daß sich irgendwann die Haut von seinem Gesicht löste.
Keine Vorstellung, die ihm gefiel. Suko verschwendete keinen Gedanken mehr an diese düsteren Zukunftsaussichten und kletterte höher. Vor ihm ragte bereits das Ende der Mauer hoch. Ein paar Körperlängen noch, dann hatte er es geschafft.
Es war schnell erledigt. Keuchend erreichte Suko sein Ziel. Die Luft konnte nicht eben als kühl angesehen werden. Sie war feucht, drückend und stank erbärmlich, wie er sehr bald feststellte, denn aus dem Innenhof wehte dieser Gestank zu ihm hoch.
Der Mauerrand war breiter, als Suko es sich vorgestellt hatte. Er konnte sich der Breite nach hinlegen und in die Tiefe schauen, wo sich ein Hof ausbreitete.
Was er sah, war furchtbar. Erlebte er in dieser Welt eine Szene aus Gullivers Reisen?
Das Stöhnen, Stampfen, Schreien und Ächzen stammte von einer riesenhaften Gestalt her, die bewegungslos auf dem Rücken lag. Über den Riesen hinweg liefen kleine Gestalten, die allesamt mit Hieb-und Stichwaffen bewaffnet waren.
Die Ziele
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