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Knochen zu Asche

Knochen zu Asche

Titel: Knochen zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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weg und wählte zum dritten Mal die Nummer in Miramichi. Diesmal meldete sich ein Mann.

    »Oh, oh! Pawn.«
    »Jerry O’Driscoll?«
    »Am Apparat.«
    Ich nannte ihm meinen Namen und meine Funktion im LSJML. Entweder hatte O’Driscoll mich nicht verstanden, oder es war ihm egal.
    »Interessieren Sie sich für alte Uhren, junge Dame?« Englisch mit leicht irischem Einschlag.
    »Ich fürchte, nicht.«
    »Hab eben zwei Schönheiten reinbekommen. Mögen Sie Schmuck?«
    »Natürlich.«
    »Hab ein paar Navajo-Türkis-Sachen, die Sie von den Socken hauen.«
    Navajo-Schmuck in einem Laden in New Brunswick? Bestimmt eine lange Geschichte.
    »Mr. O’Driscoll, ich rufe an wegen menschlicher Überreste, die Sie vor einigen Jahren an Trick und Archie Whalen verkauft haben.«
    Ich hatte Verschlossenheit erwartet. Oder Erinnerungslücken. O’Driscoll war höflich, sogar mitteilsam. Und er hatte ein Gedächtnis wie der Computer einer Kreditkartengesellschaft.
    »Frühling zweitausend. Die Jungs meinten, sie bräuchten es für ein Kunstprojekt am College. Hab es Ihnen für fünfundsechzig Dollar verkauft.«
    »Sie haben ein ausgezeichnetes Gedächtnis.«
    »Die Wahrheit ist, das war das erste und letzte Skelett, das ich je verkauft hab. Das Ding war älter als alle Engel und Heiligen. Das Gesicht kaputt und voller Dreck. Trotzdem, der Gedanke, eine tote Seele zu verkaufen, war mir nicht so recht geheuer. Egal, ob der arme Teufel Christ oder Indianer oder Bantu war. Deshalb erinnere ich mich so gut daran.«
    »Woher hatten Sie das Skelett?«

    »Von einem Kerl, der alle paar Monate mal vorbeikam. Behauptete, er wäre vor dem Krieg Archäologe gewesen.Vor welchem Krieg hat er nicht gesagt. Hatte immer so einen räudigen Terrier bei sich. Nannte das Ding Bisou. Kuss. Also, meine Lippen hätte dieser Köter nie gespürt. Der Kerl brachte seine Zeit damit zu, nach Sachen zu suchen, die er verhökern konnte. Wühlte in Müllhalden. Hatte einen Metalldetektor, mit dem er das Flussufer absuchte. Solche Sachen. Brachte mir einmal eine Brosche, die ziemlich hübsch war. Ich konnte sie an eine Dame verkaufen, die oben in Neguac lebt. Die meisten seiner Fundstücke waren allerdings nur Schrott.«
    »Das Skelett?«
    »Der Kerl meinte, er hätte es gefunden, als er in den Wald ging, um Bisou zu begraben. Überraschte mich nicht. Der Hund sah aus, als wäre er hundert Jahre alt. Und der alte Knabe sah aus, als könnte er an diesem Tag eine Aufmunterung vertragen. Dachte mir, ich mach zwar Verlust, gab ihm aber trotzdem fünfzig Mäuse.Was soll’s?, dachte ich mir.«
    »Sagte Ihnen der Mann, wo er seinen Hund begraben hatte?«
    »Auf irgendeiner Insel. Behauptete, es gäbe dort einen alten indianischen Friedhof. Hätte auch Quatsch sein können. Ich höre jede Menge davon. Die Leute meinen immer, eine gute Geschichte erhöht den Wert der Sachen, die sie mir anbieten. Ist aber nicht so. Ein Artikel ist genau so viel wert, wie er wert ist.«
    »Kennen Sie den Namen des Mannes?«
    O’Driscolls Kichern klang wie platzendes Popcorn. »Sagte, er heiße Tom ›Jones‹. Ich wette Tante Rosies Schlüpfer drauf, dass er sich den ausgedacht hat.«
    »Warum das?«
    »Der Kerl war Franzose. Sprach den Namen englisch aus wie ›Jones‹. Schrieb ihn aber Jouns.«
    »Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?«

    »Vor drei Jahren kam er dann plötzlich nicht mehr. Der alte Knabe war ziemlich klapperig. Dürfte inzwischen tot sein.«
    Nach dem Anruf kehrte ich zu den Knochen zurück. War etwas Wahres an Tom Jouns’ Geschichte von der indianischen Begräbnisstätte? Konnte Hippos Mädchen eine präkolumbische Eingeborene sein?
    Die Schädelform war durch Brüche und Verwerfungen entstellt. Die brachte mich nicht weiter. Ich drehte den Schädel und schaute mir die Reste des Gesichts an. Der Nasendorn war so gut wie nicht vorhanden. Ein nichtweißes Merkmal. Die Nasenöffnung war zwar mit Erdreich verkrustet, wirkte aber breiter als die eines typischen Europäers.
    Ich pulte noch mehr Erde heraus. Die Zeit verging, und die einzigen Geräusche in meinem Labor waren das Summen der Kühlung und das Sirren der Neonröhren an der Decke.
    Die Augäpfel sind vom Stirnlappen durch einen papierdünnen Knochen getrennt, der den Boden der vorderen Schädelgrube bildet. Nachdem ich die rechte Höhle gesäubert hatte, sah ich gezackte Risse in diesem Knochen. Ich wandte mich der zweiten zu.
    Nachdem ich die linke Höhle ausgeräumt hatte, erregte etwas meine Aufmerksamkeit. Ich

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