Knochen zu Asche
Orthopaedic Pathology heraus, als Hippo durch die Tür kam. Er trug ein mit Bananenstauden und roten Palmen verziertes Hemd, eine graue Hose und einen Hut, der einen Drogenbaron stolz gemacht hätte.
Trotz seiner »Don’t worry, be happy«- Aufmachung schien Hippo keinen guten Tag gehabt zu haben. Seine Tränensäcke waren noch dicker als gewöhnlich, und er runzelte die Stirn.
Hippo setzte sich vor meinen Schreibtisch. Er roch nach gebratenem Speck und schalem Deodorant.
»Ausgehuniform?«, fragte ich lächelnd.
Hippo lächelte nicht.
»Ich hab die kleine Schwester gefunden.«
»Wo?« Plötzlich war ich ganz Ohr.
»Hören Sie sich die ganze Geschichte an.«
Ich lehnte mich zurück, voller Freude und zugleich voller Neugier.
»Ich hab mir diesen Ehemann ein bisschen genauer angesehen. «
»David Bastarache.«
»Bastard wäre passender. Die kleine Schwester Ihrer Freundin hat in eine Familie von Schmugglern und Schwarzbrennern eingeheiratet.«
»Im Ernst?«
»Davids Großvater, Siméon, hatte in den Zwanzigern mit Alkoholschmuggel eine hübsche Stange verdient und das Ganze in Immobilien investiert. Bars in Tracadie und Lamèque. Eine Pension in Caraquet. Davids Vater, Hilaire, wusste mit seiner Erbschaft viel anzufangen. Er widmete einige Liegenschaften seines Vaters in ›Verstecke‹ um, sichere Lagerräume für illegalen Schnaps und Schmuggelware.«
»Moment mal. Alkoholschmuggler?«
»Erinnern Sie sich noch an diese stolze Epoche der amerikanischen Geschichte, die vom Eighteenth Amendment und dem Volstead Act ausgelöst wurde?«
»Die Prohibition.«
»Von neunundzwanzig bis dreiunddreißig. Die Republikanische und die Prohibitionspartei stiegen zur Mäßigungsbewegung ins Bett.« Hippo lächelte schief. »Kommt daher Ihr Vorname, von lateinisch temperantia – Mäßigung?«
»Nein.«
»Aber Sie sind doch die Pepsi-Lady, oder?«
»Diet Coke. Zurück zu Bastarache.«
»Wie Sie vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht wissen, haben zwar ein paar Politiker und Bibelfanatiker das Gelübde abgelegt, der Großteil der amerikanischen Bürger aber nicht. Kennen Sie Saint-Pierre et Miquelon?«
Südlich von Neufundland gelegen, ist diese kleine Inselgruppe der letzte Rest des früheren Kolonialterritoriums von Neufrankreich. Zwar stehen die Inseln seit 1763 im wesentlichen unter französischer Herrschaft, doch seit einer Verfassungsreform im Jahr 2003 besitzen sie den Status eines überseeischen Territoriums und sind dadurch gleichgestellt mit Guadeloupe und Martinique in der Karibik, Französisch-Guayana in Südamerika und Réunion im Indischen Ozean. Mit eigenen Briefmarken, eigener Fahne, eigenem Wappen und sechstausenddreihundert glühend frankophilen Bewohnern ist
Saint-Pierre et Miquelon der französischste der französischen Außenposten in Nordamerika.
Ich nickte.
»Die Amerikaner wollten weiter ihre Cocktails, und den Franzosen war die Prohibition scheißegal, und so stand Saint-Pierre et Miquelon plötzlich im Mittelpunkt des Interesses. In den Zwanzigern ersoffen die Inseln fast im Alkohol. Ich rede nicht nur von kanadischem Whiskey. Champagner aus Frankreich. Westindischer Rum. Britischer Gin. Und der ganze Stoff musste unter die Leute gebracht werden. Das bedeutete florierende Zeiten für viele kleine Dörfer im atlantischen Kanada.«
Hippo missverstand meine Ungeduld als Missbilligung.
»Ein Mann konnte mit einem einzigen Schnapstransport mehr verdienen, als wenn er sich ein ganzes Jahr lang auf einem Fischerkahn den Arsch abgefroren hätte.Wofür würden Sie sich entscheiden? Wie auch immer, ob richtig oder falsch, der Schnaps strömte die Ostküste entlang und in die Rum Row.«
Hippo schaute mich fragend an. Ich nickte noch einmal. Auch von der Rum Row hatte ich schon gehört, eine kleine Flotte aus Schiffen, die außerhalb der Drei-Meilen-Zone vor der amerikanischen Ostküste ankerten und nur darauf warteten, Alkohol an Unternehmer wie Al Capone und Bill Mc-Coy abzugeben.
»Sie wissen, wie das ausgegangen ist. DasTwenty-first Amendment machte der Prohibition den Garaus, aber Uncle Sam besteuerte den Alkohol bis zum Gehtnichtmehr. Der Schmuggel lief deshalb weiter. Schließlich erklärten die Vereinigten Staaten und Kanada unabhängig voneinander den Alkoholschmugglern auf dem Atlantik den Krieg. Haben Sie mal den Song von Lennie Gallant über die Nellie J. Banks gehört?«
»Vielleicht im Hurley’s.«
»Die Nellie J. Banks war das berüchtigtste Schmuggelschiff von
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